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Sport: Lässig ins Chaos

Deutschlands Auftreten bei der Eishockey-WM ist merkwürdig uninspiriert und wirft viele Fragen auf

Wien - Die Anzüge blieben im Hotel. Als die deutschen Eishockey-Nationalspieler am Donnerstagnachmittag ihrem Mannschaftsbus entstiegen, bot sich vor einem Nebeneingang der Wiener Stadthalle ein farbenfrohes Bild. Durcheinander lautete der ausgelobte Dresscode anscheinend: Mancher Profi erschien in Shorts und Badelatschen. Nun muss derart lockeres Auftreten an sich noch nichts heißen – auch wenn es im internationalen Eishockey ungewöhnlich ist und sich die meisten Teams bei der Weltmeisterschaft in Österreich abseits des Eises im Einheitsdress bewegen.

Da die Deutschen dann aber im für sie entscheidenden dritten Vorrundenspiel gegen die Schweiz so ungeordnet auftraten wie bei der Anreise zum Stadion, rundete sich das Gesamtbild ab: Auf dem Eis schlitterte das Team in ein munteres Chaos und verlor 1:5. Nach der höchsten Niederlage gegen die Schweizer seit 1965 hatten sich die Deutschen nach drei Niederlagen für die Abstiegsrunde qualifiziert, in der sie schon gestern in Wien gegen Österreich antraten (bei Redaktionsschluss noch im Gange).

Der uninspirierte Auftritt gegen die Schweizer brachte doch so einige aus der deutschen Mannschaft in Erklärungsnot. Viele Spieler verschwanden vorsichtshalber mit hängenden Köpfen im Eiltempo in der Kabine. Der Mannheimer Jochen Hecht sagte zumindest noch: „Offensichtlich hat uns der Trainer mit seiner Ansprache nicht erreicht.“ Das war deutlich zu sehen. Bundestrainer Greg Poss fand dann auch: „Wenn nach einem verlorenen Bully die Verteidiger nach vorne laufen, kannst du natürlich nicht gewinnen.“ Allerdings lässt sich mit einem Team, in dem keiner eine Führungsrolle übernehmen will, auch wenig gewinnen. „Bei der Mannschaft ist keine Hierarchie zu erkennen“, sagt der ehemalige Nationalspieler Anton Krinner, heute Trainer von Zweitligist Essen. Und sein Kollege Pierre Pagé von den Berliner Eisbären attestiert den Deutschen „mangelnde Leidenschaft“. Das zumindest kann ihrem Anhang in Wien nicht nachgesagt werden. Bis zur Mitte der Partie am Donnerstag hatten 3000 Fans ihr Team angefeuert, doch nach dem Tor zum 1:2 war auch die unglaubliche Geduld der Anhänger ausgereizt. „Poss raus“, riefen viele.

Erstmals seit Jahren passierte das einem Eishockey-Bundestrainer, dessen Nominierungskriterien manchem undurchsichtig erscheinen – besonders bei den in Österreich für Deutschland spielenden Verteidigern: Stephan Retzer hat in der Saison in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) ein Tor für Absteiger Kassel erzielt, genauso viel wie die Mannheimer Nico Pyka und Michael Bakos, Stefan Schauer (Köln) hat zwei Treffer geschossen.

Verteidiger, die in der Liga selten treffen, blühen bei einer WM nicht zwangsläufig auf. Was besonders in Überzahlsituationen für Deutschland in Wien – davon hatten die Deutschen gegen die Schweiz elf – bisher passierte, ist schwach. Kaum ein Verteidiger bringt einen ordentlichen Schuss auf das Tor, dazu kommen viele Fehler an der blauen Linie des Gegners. Nach der Partie gegen Österreich spielen die Deutschen am Montag gegen Slowenien und am Dienstag gegen Dänemark – jeweils in Innsbruck. Und in der Abstiegsrunde, in der nur die Mannschaften auf den Rängen eins und zwei die Klasse halten, droht bei so emotionslosen Auftritten wie in der Vorrunde der Fall in die Zweitklassigkeit. Spätestens dann sollten die öffentlichen Auftritte der Deutschen weniger locker ausfallen.

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