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Sport: Land der Zwerge

Österreichs Fußballer stürzen den Gastgeber ein Jahr vor der EM in eine Depression

Edi Finger junior ist hörbar bemüht. Der Sohn der 1989 verstorbenen österreichischen Reporterlegende steht auf einer Bühne im ersten Wiener Bezirk und ruft etwas von einer „einmaligen Chance“. Er spricht im unverkennbaren Tonfall des väterlichen Vorbilds. Eigentlich gibt es keinen besseren als den beliebten wie beleibten Mann vom Radio, um die Roadshow „Euromania“ zu starten. Hinter dem Slogan verbirgt sich eine Veranstaltung, die „ganz Österreich ins EM-Fieber“ versetzen soll. In fast genau einem Jahr startet Österreich – gemeinsam mit der Schweiz Gastgeber – in Wien in das Endrundenturnier der Fußball-Europameisterschaft.

Sechs Sattelschlepper karren zur Einstimmung darauf die nächsten Monate eine künstliche Fußball-Erlebniswelt durchs Land. „Euromania“ macht an 18 Orten Station – aber zum Auftakt macht der gemeine Wiener darum einen weiten Bogen. Denn der größte Stimmungskiller ist gleich neben der Bühne installiert: eine Videowand, auf der das Spiel der Nationalelf gegen Paraguay übertragen wird. Spätestens seit dem schaurigen 0:0 am Sonnabend herrscht statt Euromanie nur noch EM-Depression. Nachdem am Mittwoch beim 0:1 gegen Schottland Kapitän Andreas Ivanschitz von Teilen des Publikums angepöbelt und bespuckt worden war, leistete sich am Samstag die in diesem Jahr noch sieglose Auswahl den nächsten sportlichen Fehltritt. Die Mängelliste ist so lang, dass Teamchef Josef Hickersberger darüber eine Viertelstunde am Stück referiert. „Ohne Spielaufbau … keine Kombination über drei Stationen … kaum Bewegung … keine Fortschritte.“ So schwierig, flüstert der 59-Jährige, habe er sich das nicht vorgestellt.

Hickersberger, 1990 schon einmal wegen der historisch peinlichen Niederlage gegen die Färöer aus dem Amt gefegt, wirkt desillusioniert. Das Team wurde zwar verjüngt, die Defizite an internationaler Klasse blieben aber bestehen. „Uns mangelt es an Tempo, an Aggressivität“, sagt Martin Stranzl von Spartak Moskau. Kaum einer hat Champions-League-Praxis wie er. Zur EM-Tauglichkeit, sagt Stranzl, fehlten noch „50 Prozent“.

Immerhin: Die Koryphäen der durch das 3:2 gegen Deutschland unsterblich gewordenen Cordoba-Generation, allen voran Herbert Prohaska („ein Fiasko“) und Hans Krankl („eine Peinlichkeit“), fordern nicht den Kopf des Trainers. Weil sie wie wissen, dass die Ursachen woanders liegen: zum Beispiel bei Versäumnissen in der Nachwuchsförderung. Oder bei fehlenden Einsatzzeiten der Nationalspieler, denn in der Bundesliga spielen viele Mittelklassekicker aus dem Ausland. Meister Red Bull Salzburg setzt nur einen Österreicher in der Stammelf ein. „Ich muss welche aufstellen, die haben zuletzt nur mit dem Sohn im Garten Fußball gespielt“, klagt Hickersberger.

So ist es kein Wunder, dass die Spieler überfordert wirken und im besten Fall bieder Dienst nach Vorschrift verrichten. Teammanager Andreas Herzog fordert „Sonderschichten“ von jedem einzelnen, sonst werde die EM zum Reinfall: „Wir dürfen jetzt nicht wieder alles schönreden.“ Der Cheftrainer beugt sich bereits den Tatsachen. „Wir sind der größte Außenseiter, den es beim Turnier gibt“, sagt Hickersberger. „Wir werden alles Glück dieser Fußball-Welt benötigen.“

In der Hauptstadt diskutiert man bereits darüber, ob es nicht dienlich sei, auf den gesetzten Startplatz als Kopf der Gruppe B zu verzichten und sich auf das zu fokussieren, was das Tourismusland am besten kann: einen charmanten Gastgeber geben. Noch während des gruseligen Spiels am Samstag verbreitete sich eine SMS mit folgendem Inhalt: „Ersparen wir Europa die Peinlichkeit und treten als Teilnehmer von der EM zurück.“

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