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Unsanftes Ende eines Höhenflugs. Malte Mohr klagte über Probleme im Rücken, nachdem er bei den deutschen Meisterschaften auf einer schadhaften Matte gelandet war. Foto: dpa

© dapd

Sport: Landung im Graben

Eine Matte mit Rissen gefährdete bei den deutschen Meisterschaften die Gesundheit der Athleten.

Der Stab krümmt sich überm Einstichkasten, dann katapultiert sich Alexander Straub nach oben. Dort, in gut fünf Metern Höhe, liegt keine Latte, nur ein Gummiseil, es ist ja Training im Leichtathletik-Leistungszentrum in Leverkusen. Straub touchiert das Band, dann fällt er nach unten, der Rücken drückt bei der Landung die Matte durch. Jörn Elberding, steht daneben und sagt zufrieden: „War trotzdem okay.“

Elberding ist Bundestrainer der deutschen Stabhochspringer, er bringt hier gerade den lange verletzten Straub wieder in Form. Aber plötzlich wird der Tonfall erheblich härter. Das ist der Moment, in dem Elberding an andere Athleten aus seinem Kader denkt. Der Coach sagt: „Das war lebensgefährlich für die Jungs.“

Die Jungs heißen Malte Mohr, Björn Otto, Raphael Holzdeppe und Karsten Dilla, sie sind derzeit die besten deutschen Stabhochspringer, und am Sonntag wären Mohr und Otto fast auf der nackten Erde gelandet. Die Matte hatte sie kaum gebremst. Beide hatten Hämatome, beide Schmerzen am Rücken, beide wurden behandelt. Der Stabhochsprung bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften wurde zum Sicherheitsrisiko. Frank Kowalski, beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) verantwortlich für die Titelkämpfe, „war schockiert“.

Und Elberding ist außer sich, wenn er an die Bilder von Mohr und Otto, die halb im Schaumstoff verschwunden sind, denkt. „Das habe ich noch nie erlebt. Da wurde ein Wettkampf zerstört.“ Von den gesundheitlichen Risiken ganz zu schweigen. Mohr gewann zwar mit 5,82 Metern, verzichtete aber auf 5,92 Meter und ging am Montag zum Arzt. Otto wurde mit 5,72 Metern Vierter. Ob er zu den Olympischen Spielen darf, ist offen.

Eine kaputte Matte, wie konnte das passieren? „Eine Reihe unglücklicher Umstände“, sagt Ulrich Schäper, Chef der Herstellerfirma der Matte. „So etwas hat es noch nie gegeben, dieser Mattentyp wird bei vielen Veranstaltungen eingesetzt, immer ohne Probleme. Aber es ist wie bei der Formel 1: Warum platzt plötzlich ein Motor?“ Die Matte entspreche den Vorgaben des Weltverbands IAAF und sei zertifiziert. Zudem sei sie vorschriftsgemäß vor dem Wettkampf abgenommen worden.

Eine Matte besteht aus dicken Schaumstoffblöcken, über denen eine Schaumstoffmatte in gesamter Breite liegt. Sie verhindert, dass bei einer Landung die Blöcke auseinander driften. Über dieser breiten Matte liegt noch ein sogenannter Spikes-Schutz. Unglücklicherweise, sagt Schäper, habe es erst einen Riss in dieser Schutzhülle und dann auch noch in den Fugen der darunterliegenden Matte gegeben. Nun bildete sich bei der Landung plötzlich eine Art Graben.

Silke Spiegelburg sprang am Samstag, sie gewann den Titel, aber bei ihren Landungen hatte sie „das Gefühl, dass die Blöcke schwimmen“. Bei ihr blieb die Matte noch intakt, aber ihr schoss auch der Gedanke durch den Kopf: „Oh, die Matte hält wohl nicht lange.“ Früher, in Münster, hatte sie mal ähnliche Probleme mit einer mangelhaften Matte erlebt. Die Landung wurde zur schmerzhaften Erfahrung: „Es ist ein wie Schlag in den Rücken. Man ist danach so fest, dass man keinen sauberen Schritt mehr machen kann. Ich hätte gedacht, dass die Jungs in Wattenscheid den Wettkampf abbrechen.“

Ein Abbruch stand ja auch im Raum, zumindest nachdem sich Otto und Mohr verletzt hatten. Nach ihnen sollten Holzdeppe und Dilla springen. Dabei hatte schon Minuten zuvor ein Riss bereits den Spikes-Schutz durchzogen. Athleten, Kampfrichter, Trainer und der DLV-Vertreter hatten es zwar argwöhnisch registriert, aber dieses Manko nahmen sie in Kauf, auch Elberding. „Schön war das nicht, aber ich dachte, dass zumindest die Schaumstoffmatte darunter intakt ist.“ War sie aber sehr schnell nicht mehr. Und nun? „Die Athleten wollten unbedingt weitermachen“, sagt DLV-Wettkampfleiter Frank O. Hamm. Stimmt, bestätigt Elberding. Es war schließlich die Olympiaqualifikation. Also entschieden alle Beteiligten einmütig: Es geht weiter.

Helfer schleppten nun hektisch eine Hochsprungmatte und blaue Bodenmatten her. „Alles improvisiert“, sagt Elberding aufgebracht. Eine Ersatz-Stabhochsprungmatte lag zwar noch irgendwo im Stadion, aber die entsprach nicht den IAAF-Vorgaben. „Der Rhythmus der Springer wurde zerstört. Dass Malte noch 5,82 Meter überquerte, war mental eine Weltklasseleistung“, sagt Elberding. Wenigstens verletzte sich keiner mehr.

Und noch etwas ärgert Elberding maßlos: Die Matte von Wattenscheid, sechs mal acht Meter groß, habe zwar den IAAF-Vorgaben entsprochen. „Aber in Deutschland haben wir einen anderen Standard.“ Da seien die Matten bei Meetings üblicherweise breiter. „So eine Größe bei deutschen Meisterschaften, das ist doch peinlich.“

Dafür kann Ausrüster Schäper nichts. Er hat geliefert, was man bei ihm bestellt hatte. Aber Wattenscheid war für seine Firma auch eine Art Fortbildung. „Wir haben gelernt, dass wir, sollten wir wieder eine Veranstaltung ausrüsten, eine zweite Matte vor Ort bereithalten.“

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