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Wassermarsch. Antje Möldner-Schmidt hat schon viele Gräben überquert. Foto: dpa

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Sport: Lauf zurück ins Leben

Antje Möldner-Schmidt hat lange pausiert, jetzt will die Hindernisläuferin eine EM-Medaille.

Helsinki - Die Sonnenbrille im Vorlauf war kein modisches Accessoire, sie war ein Beruhigungsmittel. Hinter den getönten Gläsern konnte Hindernisläuferin Antje Möldner-Schmidt abschalten. Niemand im Olympiastadion in Helsinki würde ihre Aufregung sehen, das Flackern in den Augen, das kreidebleiche Gesicht. Sie wirkte einfach wie viele andere Athletinnen bei dieser Leichtathletik-Europameisterschaft. 18 Monate lang hatte die 28-Jährige wegen einer schweren Erkrankung eine Pause einlegen müssen, seit ihrer Rückkehr auf die Tartanbahn ist jedes Rennen ein Abenteuer. Als sie im vergangenen Sommer zum ersten Mal wieder in einen Wassergraben sprang, den es beim 3000-Meter-Hindernislauf gibt, war sie schockiert. Sie hatte nicht mehr daran gedacht, dass das Wasser so kalt ist. Und bei den deutschen Meisterschaften vor zwei Wochen musste sie sich an das lange Warten im Call-Room vor dem Start erst wieder gewöhnen.

In Helsinki erlebt Antje Möldner-Schmidt in diesen Tagen die nächste Bewährungsprobe auf ihrem Weg zurück in den sportlichen Alltag. Bei der EM ist alles noch ein bisschen größer, noch ein bisschen regulierter als sonst. Doch die 28-Jährige hat aus den nationalen Meisterschaften gelernt. In Helsinki absolvierte sie im Call-Room gymnastische Übungen, um warm zu bleiben. Das hatte sie vor zwei Wochen versäumt. Die Gymnastik zahlte sich aus, mit ihren 9:33,47 Minuten zog sie ebenso wie Gesa-Felicitas Krause (Frankfurt am Main) und Sanaa Koubaa (Hilden) in das heutige Finale ein. Nur kurz hielt sie sich im Pulk der anderen Läuferinnen auf, dann setzte sie sich an die Spitze und erreichte ungefährdet den Endlauf. „Ich musste anfangs ständig rumdribbeln, weil immer irgendjemand vor mir war. Irgendwann dachte ich mir: Los, mach dein Ding“, sagte die gebürtige Potsdamerin, die seit Anfang des Jahres für den LC Cottbus startet. Ein paar Mal schaute sie auf die Videoleinwand, um sich zu vergewissern, dass sie sicher unter den ersten Vier war.

Anders als viele ihre Gegnerinnen, die vor dem Hindernis lieber abbremsen, beschleunigt Antje Möldner-Schmidt vor der Hürde. „Ich gehe mit Schwung rüber, mir ist dabei auch egal, mit welchem Bein ich abspringe“, sagte sie. Es ist ihr spezieller Laufstil, aber der steht auch für die Denkweise der deutschen Rekordhalterin: Antje Möldner-Schmidt lässt sich eben nicht gerne aufhalten.

Sie kämpfte auch, nachdem ihr Ärzte im Januar 2010 eine schwerwiegende Diagnose gestellt hatten. Eine lange Behandlung folgte. Es war eine schwere Zeit, in der die WM-Neunte von 2009 von ihrem Verein, ihrer Trainerin Beate Conrad und ihrem Mann enorm unterstützt wurde. Schritt für Schritt kämpfte sie sich zurück, startete erst bei kleineren Wettkämpfen, ohne über Hindernisse zu springen, ehe sie sich 2011 bei den deutschen Meisterschaften wieder auf ihre Paradestrecke wagte. Das Ergebnis: Platz vier. Die 28-Jährige war glücklich: Ihr Comeback war gelungen.

Heute schielt sie nach einer Medaille. Noch nie stand eine deutsche Hindernisläuferin bei einer internationalen Meisterschaft auf dem Podium, allerdings ist die Disziplin für die Frauen auch erst seit 2005 im Programm. Möldner-Schmidt redet nicht über Edelmetall. Sie formuliert das so: „Ich will einfach noch eine Schippe drauflegen. Ich will mitstiefeln, wenn vorne welche losziehen.“ Man konnte ihre Augen bei diesem Satz nicht sehen, sie trug ihre Sonnenbrille. Aber man kann davon ausgehen, dass sie leuchteten, die Augen.Konstantin Jochens

Konstantin Jochens[Helsinki]

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