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Sport: Laufen für das Lebensglück

In einer Klinik kämpft Eisschnellläuferin Gunda Niemann-Stirnemann für ihr großes Ziel: Olympia in Turin

Berlin - Gunda Niemann-Stirnemann befindet sich gerade in der richtigen Umgebung, um Entscheidungen fürs Leben zu treffen. Für ein paar Wochen hält sie sich in einer feinen Reha-Klinik am Ufer des Chiemsees auf. Wenn nicht gerade eine Therapieeinheit für ihren entzündeten Rücken läuft, hat die Eisschnellläuferin genügend Zeit zum Nachdenken. Bisher ist sie jedoch zu keinem neuen Ergebnis gekommen. „Ich habe immer noch das ferne Ziel Olympia“, sagt die Thüringerin. 2006 in Turin will sie noch einmal laufen. Dann ist sie 39 Jahre alt.

Dabei hätte sich die dreifache Olympiasiegerin am Chiemsee durchaus zum Abschied vom Spitzensport entschließen können. Was soll schließlich noch kommen an Ruhm und Ehre? Sie ist zur Eisschnellläuferin des vergangenen Jahrhunderts gewählt worden, die Eishalle in ihrer Heimatstadt Erfurt trägt ihren Namen, und als erste Frau hat sie die Ehrenbürgerwürde von Erfurt erhalten. Jetzt macht ihr auch noch ihr Körper das Eisschnelllaufen schwer, wegen der Entzündung im Rücken muss sie auf die ganze Saison verzichten. Knapp zwei Wochen Behandlung hat die 38-Jährige in der Klinik schon hinter sich, geholfen hat es bislang nicht besonders: „Es passiert noch gar nichts an Besserung.“ Dennoch arbeitet sie an ihrer Rückkehr, und ihre Motivation dafür klingt wie aus einem Ratgeber Lebensglück: „Faszination, Leidenschaft, Liebe für den Sport, wieder mittendrin sein.“

Im nächsten Herbst will sie ein Comeback versuchen, es wäre bereits ihr zweites. Eigentlich wollte sch sie schon bei den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City die letzten Runden drehen. Doch sportliche Planung und eine nicht ganz gewollte Familienerweiterung kreuzten sich, mitten in der Vorbereitung auf Salt Lake City wurde Gunda Niemann-Stirnemann schwanger, im Mai 2002 brachte sie ihre Tochter Victoria zur Welt. Eineinhalb Jahre später lief Gunda Niemann-Stirnemann wieder in der Weltspitze mit, und beim Weltcupfinale in Heerenveen im Februar des vergangenen Jahres wurde sie sogar Zweite über 5000 Meter. „Ich wollte einfach noch einmal beginnen“, sagt sie, „und ich habe es noch einmal geschafft.“

Jetzt probiert sie es wieder mit der Rückkehr. Hinter diesem ganzen Bemühen steckt kein höheres Ziel. Gunda Niemann-Stirnemann sieht sich nicht etwa als Botschafterin berufstätiger Mütter. Und dass das Sportjahr 2004 geprägt wurde von einer 42 Jahre alten Olympiasiegerin, von der Kanufahrerin Birgit Fischer, spiele für sie auch keine Rolle. „Jeder Sportler schaut auf sich selbst.“

Ein großes Stück ihres Ehrgeizes kommt wohl aus ihrer Familiengeschichte: Sie ist mit vier Geschwistern aufgewachsen. Im Sport hat sie sich alles erkämpfen müssen. Beim Volleyball wurde sie mit 17 Jahren ausgemustert, weil sie zu klein und zu kräftig war. Beim Eisschnelllaufen hat sie dafür alles nachgeholt mit ihrem Willen. Die Berlinerin Claudia Pechstein hat sicher die bessere Technik als sie und Anni Friesinger aus Inzell in ihren Bewegungen mehr Dynamik. Gunda Niemann-Stirnemann aber verfügt dafür über den größten Kampfgeist.

Den Erfolg kann sie auch genießen, erst recht seit der Geburt ihrer Tochter. „Als ich meine Tochter mit im Trainingslager hatte, da haben mir alle die pure Freude angesehen“, erzählt sie. Während sie sich gerade in der Klinik am Chiemsee behandeln lässt, wohnt ihre Tochter Victoria auf dem Bauernhof und ihr Mann in einem Wohnwagen auf dem Campingplatz.

Vom Eisschnelllaufen ist Niemann-Stirnemann zurzeit weit entfernt. „Ich muss einfach abschalten, das hilft bei der Heilung“, sagt Niemann-Stirnemann. Erst am ersten Februarwochenende wird sie wieder in der Halle sein. Laufen wird sie bei den Mehrkampf-Weltmeisterschaften in Moskau allerdings nicht, sie wird sie lediglich als Ko-Kommentatorin für das ZDF begleiten. Dann will sie wieder spüren, was das Eisschnelllaufen für sie ausmacht: „Prickeln, Adrenalin, Fleiß.“ Einmal möchte Gunda Niemann-Stirnemann das noch auf olympischem Niveau erleben.

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