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Sport: Leberwurst und Grenzsoldaten

Heike Drechsler startet beim Istaf – im Jahn-Sportpark, wo vor 23 Jahren ihre Karriere begann

Von Frank Bachner

Berlin. Heike Drechsler hat zu Hause noch diesen Dosenöffner. Diesen speziellen Dosenöffner, mit dem man früher die Konserven aus DDR-Produktion öffnete, in denen Leberwurst war oder Blutwurst. Heike Drechsler kann sich noch genau an die Leberwurst und an die Blutwurst erinnern. „Das war lecker damals.“ Damals war 1979, und die Wurst gab es bei der Kinder- und Jugendspartakiade der DDR im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Die Mauer mit dem Todesstreifen war nur einen Steinwurf davon entfernt.

Seit 23 Jahren hat Heike Drechsler diesen Dosenöffner. Sie ist jetzt 37. Damals, 1979, war sie 14. Mit 14 wurde sie dreifache Spartakiadesiegerin. Man kann, etwas grob gezeichnet, sagen, dass Heike Drechsler damals im Jahnstadion ihre große Karriere begonnen hat. Sie ist zweimalige Weitsprung- Olympiasiegerin und zweimalige Weltmeisterin, und im Jahn-Sportpark hat sie, unter ihrem Mädchenn Daute, zumindest den ersten Schritt dieser Karriere gemacht. Und jetzt kommt sie zurück. Sie springt wieder im Jahn-Sportpark, am Freitag beim Istaf, dem größten deutschen Leichtathletik-Meeting.

Der Todesstreifen ist längst weg, die Mauer auch, der Jahn-Sportpark ist jetzt ein normaler Betonbau. Aber die Erinnerungen sind nicht weg bei Heike Drechsler. Zum Beispiel an die vielen Zuschauer im Stadion. Und an die Fanblocks, für jeden Bezirk einen. Heike Drechsler blickte immer zum Bezirk Gera, in Gera wurde sie geboren. Eine Spartakiade war ja etwas ganz Besonderes. Sie fand nur alle zwei Jahre statt, sie war viel bedeutender als etwa die Bundesjugendspiele im Westen.

„Zum ersten Mal sprang ich vor so vielen Leuten“, sagt Heike Drechsler. Sie war, bei ihren Mitschülerinnen jedenfalls, eine kleine Berühmtheit. Mit 5,95 m gewann sie bei der Spartakiade den Weitsprung, 5,95 m mit 14 Jahren. Vier Jahre später war sie Weltmeisterin. Nur in welchen Disziplinen sie noch gewonnen hat, damals, 1979, das weiß sie nicht mehr genau. „Hochsprung und Staffel glaube ich.“ Egal. Viel wichtiger war, dass sie von Heinz-Florian Oertel interviewt wurde. Oertel war damals der bekannteste DDR-Sportreporter, ein Interview mit ihm war eine Riesensache. „Meine Familie war stolz“, sagt Heike Drechsler. Sie nächtigte irgendwo in einem riesigen Raum mit 30 anderen Schülerinnen, „in einer Schule glaube ich“, und lief mit großen Augen umher. „Ich war erstmals in Berlin und noch nie U-Bahn gefahren.“ Sie hängte sich an eine Freundin. „Sonst hätte ich mich verlaufen, ich war damals sehr unbedarft.“

Aber stolz war sie auch, ganz stolz auf ihren Trainingsanzug mit dem Wappen des Bezirks Gera. Und jeden Tag las sie im „Sportecho“, was die bekannten Journalisten über die Spartakiade schrieben. Über die Mauer und die Grenzer, die Heike Drechsler jeden Tag sah, schrieben sie natürlich nichts. Die Jugendliche konnte auch nicht wirklich etwas mit diesen Dingen anfangen, mit Mauer und Todesstreifen und Grenzern. „Man wusste, dass es das alles gab, es war irgendwie spannend.“

Sie war 14, unbedarft und betrachtete das Ganze mit kindlichen Augen. Respekt vor den Grenzern hatten andere, nicht Heike Drechsler. „Die haben uns mit ihren Ferngläsern immer beim Wettkampf beobachtet“, sagt sie. „Darüber haben wir uns kaputtgelacht.“

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