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Sport: Lehmanns Offenbarung

Nummer eins und Nummer zwei kamen sich bei dieser WM näher: Jetzt darf vielleicht Kahn ran

Berlin - Jens Lehmann wich gestern von einer streng gepflegten Gewohnheit ab. Der 36 Jahre alte deutsche Nationaltorhüter gab einen kleinen Einblick in sein Innenleben. Und was da zum Vorschein kam, war – Oliver Kahn. Diese Offenbarung überraschte nicht nur sein Umfeld, sondern verblüffte Lehmann ja selbst. Bisher war sein einstiger Widersacher nicht Gegenstand seiner Gedankenwelt gewesen. Aber vielleicht ist das alles dem allgemeinen Gefühlszustand zuzuschreiben, in dem Mannschaft und Jens Lehmann sich befinden. Der Mannschaft und ihrem ersten Torsteher ist der Traum vom Titel kurz vor dem Finale abhanden gekommen. Dieser Traum hatte bisher die Herzen und Köpfe der Spieler lückenlos ausgefüllt. Jetzt, da Deutschland nur das Platzierungsspiel in Stuttgart bestreiten wird, ist da auch wieder Platz. Platz für Gesten, große Gesten. Und diesmal treffen sie den großen Gestiker Kahn.

Und so könnte der eineinhalb Jahre andauernde, bisweilen frei von Verstand und Zurückhaltung geführte Torwartstreit seine Auflösung finden in einer großen Geste. Denn es ist damit zu rechnen, dass Oliver Kahn am Samstag gegen Portugal zu seinem WM-Einsatz kommt. „Die Chance ist schon groß, dass Oliver spielt. Eine endgültige Entscheidung ist aber noch nicht gefallen“, sagt Torwarttrainer Andreas Köpke.

Jens Lehmann jedenfalls findet größten Gefallen an diesem Plan. „Wenn Oliver spielen möchte und die Trainer auch zu der Überzeugung kommen, dann hat er das auch verdient“, sagt Lehmann. Eine solche Geste kann ihm jetzt leicht fallen. In gewisser Weise sehnt er sie sogar herbei. Die vergangenen zwei Spiele, die jeweils über 120 Minuten gingen, hätten schon ein wenig „geschlaucht“. 50 Wochen sei er, der Torwart von Arsenal aus London, unermüdlich im Auftrag des Fußballs im Einsatz gewesen. Das sei etwas anderes als die Belastung seiner Mitspieler aus der Bundesliga, die die Gunst der Winterpause hätten. „Das alles strengt ganz schön an, vor allem im Kopf“, sagt Lehmann mit fahlem Gesicht.

Man sieht ihm an, dass ein Spiel um Platz drei seine persönliche Prioritätenliste nicht gerade anführt. Es ist und bleibt ein Duell zweier schwer enttäuschter Mannschaften, ein Duell zweier Verlierer. Die meisten Spieler empfinden dieses Spiel als Strafe. Lehmann ringt wenigstens um halbwegs freundliche Worte. „Ein dritter Platz bei Olympischen Spielen ist ein Menge wert, bei einer Fußball-WM allerdings nicht sehr“, sagt Lehmann, jedenfalls nicht so sehr, „dass man sich in Jahren erinnern wird.“ So könnte der Kick von Stuttgart zu einer Art „Oliver-Kahn-Gedächtnis-Spiel“ werden. Sein ein paar Monate älterer Vorgänger als Torwart Nummer eins „hat sich hervorragend verhalten hier bei dem Turnier, auch mir gegenüber“, sagt Lehmann. Er erinnert an die „schönen Gesten“ vor dem Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen Argentinien. Auch sonst hätte sich der Münchner, der die Degradierung zur Nummer zwei als schwersten persönlichen Schlag seiner Sportlerkarriere empfunden hat, hervorragend arrangiert mit seiner neuen Rolle. Nicht umsonst wurde ihm eine Anerkennung der Menschen zuteil, um die er jahrelang verbittert gekämpft, aber so nie erfahren hat. Oliver Kahn wird als „guter Geist von Grunewald“ in die deutsche Fußball-Historie eingehen. „Ich glaube, dass wäre auch für ihn noch einmal ein versöhnlicher Abschluss“, sagt Lehmann.

Für den Fall, dass Bundestrainer Jürgen Klinsmann ihm, Lehmann, die Entscheidung überlasse, würde er zunächst mit Kahn reden. Man müsse die Wünsche der Spieler berücksichtigen, die nicht so zum Zuge gekommen seien, findet Lehmann. Und als wenn sein Angebot nicht ausreichen könnte, fordert er seinen Konkurrenten förmlich dazu auf. „Es ist immer gut, bei einer WM zu spielen“, sagt Lehmann und erinnert an seine Vergangenheit. „Ich habe das häufig genug erlebt, ich hätte auch mal gerne vorher gespielt. Aber die Situation hat sich leider nie so ergeben.“ Lehmann hat schon an fünf großen Turnieren teilgenommen, ist aber erst bei dieser WM zum Einsatz gekommen. „Ich würde es machen“, sagt Lehmann, „aber bei mir waren die Voraussetzungen andere.“

Ob Lehmann überhaupt selbst noch einmal ins deutsche Tor zurückkehren wird, ist offen. Er möchte seine Situation erst mit Jürgen Klinsmann besprechen. „Es ist auch davon abhängig, ob er weitermacht“, sagt Lehmann. Vielleicht fragt er ja auch mal bei Kahn nach.

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