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Leichtathletik: Der Visionär

200-Meter-Sprinter Tobias Unger ist nach langer Verletzung zurück – und will 20,00 Sekunden laufen. Denn: "man braucht Visionen".

Berlin - Gegen 11.30 Uhr sagte Micky Corucle am Telefon „Nein“. Also flog Tobias Unger gestern Nachmittag nach Stuttgart, nach Hause. Das Flugticket nach Oslo, zum Auftakt der Golden-League-Serie in der Leichtathletik, ließ er verfallen. Das Meeting findet heute Abend statt. Corucle ist Ungers Trainer, er hat das letzte Wort in solchen Fällen. Unger selbst hat gestern in einem Berliner Hotel über seinen Start beim Istaf, dem Finale der Golden League in Berlin am 16. September, geredet. Dort sind die 200 Meter und die 400 Meter als zusätzliche Disziplinen ins Programm genommen worden, wie der geschäftsführende Istaf-Gesellschafter Gerhard Janetzky gestern mitteilte.

Tobias Unger klagt derzeit über einen seltsamen Druck im Oberschenkel, den er seit zwei Tagen spürt. Der 28-Jährige sagte mit Blick auf Oslo: „Ich möchte kein Risiko eingehen.“ Unger von Salamander Kornwestheim, Olympiasiebter von 2004 und WM-Siebter von 2005, hat genügend Zeit mit Verletzungen verbracht, er will keinen Rückfall. Denn seit kurzem ist er wieder da, auf der großen Bühne. Er wird in einer Woche beim Europacup in München starten, er ist vergangenen Freitag in Regensburg 20,48 Sekunden gelaufen und hat damit sehr früh die Norm für die WM in Osaka, Japan, unterboten. Vor gut einem Jahr noch war er außer Gefecht. Im Juli 2006 ließ er sich an der linken Achillessehne operieren, danach hatte er monatelang Zeit für Urlaub, Reha und zum Nachdenken. Ein Gedanke war: „Es kommt Peking 2008, es kommt die WM 2009 in Berlin, da darf man gar nicht aufhören.“

Nicht wenn man noch einen „Traum“ hat. Den Traum von den 20,00 Sekunden. Seine Bestzeit liegt bei 20,20 Sekunden, das ist international beachtlich, aber es ist nicht seine Grenze. 20,00 hält er für machbar. „Es ist schon brutal“, sagt Unger, „aber man braucht Visionen, dann hängt man sich im Training noch mehr rein.“ In Peking will er sie laufen, die 20,00 Sekunden. „Damit wird man im olympischen Finale auch nicht Letzter.“

Unger redet problemlos über einen Finalplatz. Er hat inzwischen dieses Selbstbewusstsein. In Athen war es noch eine Riesenüberraschung, dass er bei den Olympischen Spielen in den Endlauf kam, aber danach ist er Hallen-Europameister geworden (2005) und hat seine Bestzeit erreicht. „Mach Dich nicht kleiner, als Du bist, rede Deine Gegner nicht stärker als sie sind“, das hat ihm schon der Sportpsychologe beigebracht, mit dem er arbeitet, diesen Satz hat aber vor allem eine Legende wiederholt. Ein Star, mit dem Unger im Frühjahr zehn Tage lang im Trainingslager in Portugal mittags in der Strandbar und abends beim Essen gesprochen hat. Frankie Fredericks, geboren in Namibia, Weltmeister (1993), drei Mal Vizeweltmeister und zweimal Olympiazweiter jeweils über 200 Meter.

Fredericks lebt in Deutschland, der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat ihn im Frühjahr als Berater engagiert, jetzt berät er unter anderem Unger. „Er ist sehr bedeutsam für mich“, sagt der 28-Jährige. „Er gibt mir vor allem im mentalen Bereich Tipps.“ Fredericks war extrem nervenstark, er erzählte Unger, wie man Psychotricks der Stars auf den Nebenbahnen an sich abperlen lässt.

Für die derberen Späße ist Micky Corucle, der Trainer , zuständig. Er erzählt Unger immer wieder, der solle doch mal ein richtig hartes 400-Meter-Rennen absolvieren. Natürlich weiß er, dass „ich dann vorher nächtelang nicht schlafen könnte“ (Unger). Und warum dann das Ganze? „Weil er mich ärgern will.“

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