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© dpa

Leichtathletik-Funktionär Digel: „Wir haben keine Stars mehr“

Helmut Digel erklärt, wie die Leichtathletik wieder attraktiver werden könnte.

Herr Digel, in welchem Zustand erleben Sie hier bei den Weltmeisterschaften die Leichtathletik?

In gewisser Weise ist es ein Umbruch. Es gibt tolle Leistungen von Athleten, aber keine Rekorde. Wer Rekorde erwartet hatte, wird enttäuscht sein – ich bin ich es nicht. Dazu habe ich zu viele herausragende Wettbewerbe gesehen wie den Siebenkampf oder den Hammerwurf der Männer. Nur haben wir keine Stars mehr. Der Einzige, der es hier noch zum Star schaffen könnte, ist Tyson Gay, wenn er auch noch die 200 Meter und mit der Sprintstaffel gewinnt. Das wäre wieder ein Amerikaner. Dabei hätte Carolina Klüft allemal das Zeug zum Superstar.

Aber die Siebenkämpferin aus Schweden ist vielleicht einfach zu gut dafür: erfolgreich, zurückhaltend, sozial engagiert, das ist offenbar zu viel.

Athleten, die gut und sympathisch sind, eignen sich eben nicht für das große Spektakel. Athleten aus anderen Kulturen sind noch weniger anschlussfähig an das angelsächsische Showgeschäft. Ihnen fehlen die Kommunikationsmöglichkeiten mit der amerikanischen Unterhaltungsbranche. Der Hürdensprinter Liu Xiang ist nur in China ein Star, von den Afrikanern ist es allenfalls Haile Gebrselassie. Aber wir müssen uns daran gewöhnen, dass die besten Leichtathleten der Welt aus allen Kulturkreisen kommen.

Braucht denn die Leichtathletik überhaupt internationale Superstars?

Für den internationalen Verband ist das gar nicht so wichtig, aber für die nationalen Verbände. Denn sie werden an ihren besten Athleten gemessen. Zum Star wird man jedoch erst, wenn man über mehrere Jahre konstant Leistung bringt. Daraus ergibt sich Anschlussfähigkeit zur Showbranche.

Sollten die Leichtathletikverbände denn verstärkt versuchen, aus ihren Athleten Stars zu machen?

Es wird immer wieder empfohlen, Starinszenierungsprogramme zu machen. Ich halte das für Unsinn. Athleten müssen sich selbst treu bleiben so wie der Stabhochspringer Danny Ecker. Sein Kollege Tim Lobinger mag ein Star sein, weil er Verhaltensweisen zeigt, die im Showbusiness ankommen. Das ist auch legitim, aber aufzwingen sollte man das niemandem.

Was wäre dann der richtige Weg?

Der Athlet muss eine sinnvolle Symbiose zwischen Aktion und Präsentation finden. Es ist auch in der Leichtathletik nicht so einfach, da gibt es Athleten in den Wurfdisziplinen, die trinken nach ihrem Wettkampf erstmal ein Bier und essen so viel, dass jeder Veranstalter ein Verpflegungsproblem bekommt. Dann gibt es Läufer, die selbst beim Feiern nur Mineralwasser trinken. Das passt alles nicht ins Showgeschäft.

Wie lebt den die Leichtathletik ohne Stars weiter?

Ich glaube, dass der Wettkampf nach wie vor eine hohe Anziehungskraft besitzt mit seiner Spannung, mit dem Duell. Da braucht man glaube ich nicht noch mehr Interviews aus dem Innenraum und noch mehr Human Touch. Deshalb sollte man das Produkt selbst mit neuer Qualität versehen, also kürzer und bedeutsamer machen. Spitzensport muss im Zentrum stehen.

Wie kann das konkret aussehen?

Ich würde die Qualifikationen nach außen verlagern, also entweder in die Kontinentalverbände oder zwei Tage vor die Entscheidungen. So kann man die Weltmeisterschaften auf sechs Tage verkürzen, dann hätte man jeden Abend sieben bis acht Finals. Die 100 Meter würde ich auf den sechsten Tag legen als Klimax. Das wäre eine ganz andere Weltmeisterschaft.

Dann wäre aber auch die Exotik weg, viele kleinere Länder wären gar nicht mehr dabei.

Es wäre in der Tat nach außen nicht mehr sichtbar, dass wir 210 Mitgliedsverbände haben. Aber die Frage ist doch: Will ich etwas anbieten, was konkurrenzfähig ist? Wie ist es denn zum Beispiel hier in Japan? Da hat jeder einen tollen Flachbildschirm zu Hause. Im Stadion sind es 40 Grad, 90 Prozent Luftfeuchtigkeit und die Karten kosten 100 Euro. Wer geht denn da noch hin? Wir müssen an die Zuschauer denken, nicht an uns. Andere Sportarten haben es vorgemacht.

Was kann Berlin von Osaka für die WM 2009 lernen?

Berlin wird eine sehr gute WM, dafür steht das Organisationskomitee und dafür stehen die guten deutschen Kampfrichter. Aber es wird auch in Berlin nicht einfach sein, das Stadion neun Tage voll zu bekommen, im Abendprogramm muss es Änderungen geben. Eine Verkürzung auf sechs Tage wird es sicher nicht geben. Denn alle Verträge sind schon geschlossen.

Was könnte der Beitrag der Berliner Weltmeisterschaften zur Geschichte der Leichtathletik werden?

Die WM in Berlin muss unter dem Aspekt der Dopingprävention die beste sein. Diesen Auftrag haben die Deutschen zu erfüllen. Zu Berlin würde auch noch etwas anderes gut passen: die Ästhetik der Leichtathletik besonders hervorzuheben, gerade wegen der Olympischen Spiele 1936. Die WM könnte eine ganz neue Ästhetik zeigen, eine mit demokratischem Anspruch.

Das Gespräch führte Friedhard Teuffel.

Helmut Digel, 63, aus Tübingen ist Sportsoziologe. Beim IAAF- Wahlkongress in Osaka verlor er seine Funktion als Vizepräsident des Leichtathletik-Weltverbandes, blieb aber im Council.

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