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Leichtathletik: Trainermangel könnte zum Problem werden

Die Leichtathletik-EM beweist, dass den Deutschen die Hoffnungsträger nicht ausgehen. Das wirklich große Problem der deutschen Leichtathletik dräut im Verborgenen.

War das wirklich noch derselbe Mann? War das wirklich der Typ, der gerade noch jauchzend die Hände vors Gesicht geschlagen hatte und ungelenk wie ein Fohlen beim ersten Galopp über die Bahn gehopst ist? Der seine 8,47 Meter im Weitsprung feierte wie ein Lottogewinner seine sechs Richtigen? Ja, es war derselbe. Aber jetzt lehnte sich Christian Reif an eine Begrenzungsmauer und sagte lächelnd: „Ich wusste, dass ich weit springen konnte.“ Er bezog das auf den dritten Versuch, der über 7,92 Meter gehen musste, damit Reif nicht frühzeitig ausschied. Aber es kam rüber, als würde sich Mr. Cool inszenieren. Als würde hier ein anderer stehen als neben der Grube.

Mag sein. Aber Reif, der neue Europameister, war bloß authentisch, beim Hopsen und beim Reden. Die 8,47 Meter waren natürlich eine Sensation, 20 Zentimeter über seiner Bestleistung. Das feierte er. Aber warum sollte er seinen Sieg demonstrativ als Sensation verkaufen, nur weil viele ihn höchstens als Mann im Schatten von Hallen-Europameister Sebastian Bayer kannten? Sensation? Reif war als Nummer eins der europäischen Rangliste gestartet. Er war in dieser Saison zweimal 8,27 Meter und einmal 8,21 Meter gesprungen. Warum sollte er sich nun kleiner machen als er ist?

Reifs Auftritt kann man übertragen; auf einer anderen Ebene auf die deutsche Leichtathletik.

Fünf Medaillen allein am Sonntag veredeln die deutsche Bilanz zum sehr guten Ergebnis: 16 Medaillen (4 Gold/sechs Silber/sechs Bronze). 16 Medaillen. Das ist ein schönes Resultat, das ist kein Trend. Das bedeutet nicht den Aufstieg der deutschen Leichtathletik. Sie benötigt keinen Aufstieg, sie hat ihre sportliche, ziemlich hochklassige Basis. Die sogenannte Krise der deutschen Leichtathletik war immer eine gefühlte Krise. Sie orientierte sich an sinkenden TV-Quoten, an dem Wunsch nach mehr medialen Stars, die man anhimmeln und anfeuern konnte. Mit dem Sport selber hatte sie wenig zu tun.

Dass es mal mehr und mal weniger Medaillen gibt, spektakuläre Siege und unerwartete prominente Ausfälle, das ist Alltag. Bei der EM 2002 in München sammelten die Deutschen 19 Medaillen. War das also der Beginn einer Glanzzeit? Dann hätte sie schon bei der EM 2006 zu Ende sein müssen. Da hatten die Deutschen am Ende nur zehn.

Genauso wenig wie damals den angeblichen Niedergang der olympischen Kernsportart sollte man jetzt ihren vermeintlichen Aufstieg feiern. Die 16 Medaillen sind im Rahmen dessen, was man erwarten durfte. Sie kamen nur teilweise von Leuten, die man nicht auf dem Plan hatte.

Und diese Leute und ihre Resultate verdienen jene emotionale Höchstdosis, mit der auch Reif seine 8,47 Meter feierte: die Europameisterinnen Linda Stahl (Speer) und Verena Sailer (100 Meter), das Silber von Carsten Schlangen (1500 Meter), Matthias de Zordo (Speer) und von der 400-Meter-Staffel der Frauen, das Bronze von Lisa Ryzih (Stab).

Hinter diesen Namen verbirgt sich die wichtigste Nachricht dieser EM. Es kommen zuverlässig junge Leute oder Athleten aus der zweiten Reihe nach. Es wird keine großen Lücken geben, dafür aber Talente und eher (noch) wenig bekannte Athleten, die in den nächsten Jahren die Szene prägen können. Speerwerfer de Zordo ist erst 22, der Kugelstoßer David Storl, den der Nachwuchs-Bundestrainer mal als „Jahrhunderttalent“ bezeichnet hat, 20 Jahre alt. Lisa Ryzih ist 21, Stabhochspringer Raphael Holzdeppe (Bestleistung 5,80 Meter) 20. Und auch andere Athleten haben noch einiges Potenzial. Die Speerwerferin Katharina Molitor ist eine von denen, die aus der Unauffälligkeit drängen. In Barcelona arbeitete sie sich bis auf den vierten Platz vor. „Ich traue ihr zu, dass sie mal einen Wurf raushaut wie die Linda“, sagte ihr Trainer Helge Zöllkau. Er muss es wissen, er betreut auch Linda Stahl. Reif, Stahl, Robert Harting, Hürdensprinterin Carolin Nytra, Bayer, Ariane Friedrich, sie alle sind Kandidaten für die Olympischen Spiele 2012. Dass nicht alle bei der WM 2011 und in London Medaillen gewinnen, ist halt so. Zudem hat diese Fixierung auf Medaillen etwas Heuchlerisches. Wer Edelmetall zum Maßstab nimmt, darf sich über Dopingsünder nicht wundern.

Das wirklich große Problem der deutschen Leichtathletik dräut im Verborgenen: der drohende Mangel an hochqualifizierten Trainern. Immer weniger junge Leute akzeptieren die fehlende Planungssicherheit von Zeitverträgen. Nadine Kleinert, Betty Heidler, Harting, andere Medaillenkandidaten, sie alle haben Trainer, die bald abtreten werden. Adäquate Nachfolger sind kaum in Sicht. Da ist die Rente mit 67, etwas zynisch gesehen, fast schon ein Trost. „Ich bin der erste Trainer“, stöhnte Zöllkau in Barcelona, „der bis 67 arbeiten muss.“ Feine Aussichten für ihn, das bedeutet noch 21 Jahre.

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