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Auf der Tartanbahn fühlt sich Konstanze Klosterhalfen deutlich wohler als beim Kugelstoßen. Bei der Leichtathletik-WM startet sie über 1500 Meter.

© Bernd Thissen/dpa

Leichtathletik-WM in London: Konstanze Klosterhalfen ist das große deutsche Versprechen

So schnell wie Konstanze Klosterhalfen war lange keine Deutsche über die Mitteldistanz. Bei den am Freitag beginnenden Weltmeisterschaften in London kann sie alle schlagen.

Im Februar 2016 hat ein Strich in der Landschaft viele mitleidige Blicke an der Deutschen Sporthochschule in Köln (DSHS) auf sich gezogen. Der Strich in der Landschaft war Konstanze Klosterhalfen, 1,74 Meter groß, offiziell 48 Kilogramm schwer, inoffiziell vielleicht noch etwas weniger. Klosterhalfen hatte eine vier Kilogramm schwere Kugel in der Hand und musste 6,70 Meter weit stoßen, um die Aufnahmeprüfung an der DSHS zu schaffen. Sie war schon zwei Mal gescheitert. Jetzt musste es klappen.

Eineinhalb Jahre später blickt keiner mehr mitleidig, sondern jeder mit großen Augen auf diese junge Frau. Von Klosterhalfen wird eben viel erwartet bei den am heutigen Freitag beginnenden Leichtathletik-Weltmeisterschaften in London. Wie groß das Interesse an ihr ist, wird auch an einem Julitag in Kienbaum deutlich. Jeder will mit Konstanze Klosterhalfen sprechen. Sie sagt dazu: „Ich freue mich über das Interesse. Aber ich laufe halt nur.“

Die Sache ist nur, Klosterhalfen läuft so schnell über sämtliche Distanzen zwischen 800 und 5000 Metern wie schon lange niemand mehr in Deutschland. Für ihr Alter läuft sie ohnehin in einer eigenen Welt. Sie ist in diesem Jahr die 800 Meter unter zwei, die 1500 Meter unter vier und die 5000 Meter unter 15 Minuten gerannt. In der Leichtathletik spricht man hierbei von einem Triple, und ein solches Triple hat in Klosterhalfens Alter noch nie eine Läuferin geschafft.

Klosterhalfen ist derzeit das größte Versprechen der deutschen Leichtathletik. Superlative mögen mitunter nervig sein, aber die Feststellung vieler Beobachter, hier handele es sich um ein Jahrhunderttalent – sie trifft auf Klosterhalfen zu. Bei der WM wird sie über 1500 Meter starten, am Freitag beginnen um 20.35 Uhr deutscher Zeit die Vorläufe, am Samstag die Halbfinalläufe, und das Finale findet am Montag um 22.50 Uhr statt. Wenn nichts schief läuft, dürfte Klosterhalfen dann dabei sein. Und wenn es richtig gut läuft, kann Klosterhalfen all die Afrikanerinnen im Teilnehmerfeld so sehr ärgern, dass sie ihnen sogar eine Medaille klaut.

Es wäre eine große Nummer für die deutsche Leichtathletik, die sich sehnt nach Erfolgen im Laufen. Zu den prägnantesten Bildern in ihrer Geschichte gehört, wie Dieter Baumann 1992 einen Purzelbaum auf der Tartanbahn im Olympiastadion von Barcelona schlägt oder wie Nils Schumann acht Jahre später in Sydney nach dem Zieleinlauf erschöpft zu Boden geht und ungläubig die Hände vors Gesicht hält. Baumann gewann über 5000 Meter Gold, Schumann über 800 Meter. Das alles ist lange her, aber unvergessen. Man muss es den Deutschen daher nachsehen, wenn sie nun hoffen, dass diese zierliche Frau mit den langen Haaren sehr bald ähnliche Erfolge erzielt.

Es ist Usus im Sport, dass Funktionäre oder Trainer in solchen Fällen die überbordenden Erwartungen ein wenig dämpfen. Das ist bei Klosterhalfen nicht anders. Idriss Gonschinska, Cheftrainer der deutschen Leichtathleten, traut ihr „etwas Besonderes innerhalb der nächsten vier Jahre zu“. London kommt demnach für Klosterhalfen noch etwas zu früh, zumal es laut Gonschinska eine ostafrikanische Dominanz gibt.

Nur vier Läuferinnen waren in dieser Saison schneller

Ein Blick auf die Bestenlisten in dieser Saison zeigt aber: Nur vier Läuferinnen waren schneller als Klosterhalfen. Die beste unter ihnen, die in Äthiopien geborene und für die Niederlande startende Sifan Hassan, war gerade einmal drei Sekunden schneller. Klosterhalfen ist dicht dran an der vermeintlichen Dominanz, vielleicht sogar etwas mehr als das, wenn nicht zu sehr taktiert wird. „Ich mag nicht, wenn zu viel gebummelt wird“, sagt Klosterhalfen. „Ich mag schnelle Rennen.“

Das hat sie in dieser Saison immer wieder bewiesen, sehr eindrücklich auch bei den deutschen Meisterschaften im Juli in Erfurt. Sie hätte es sich bei diesem 1500-Meter-Rennen bequem machen können, langsam mit den anderen mitlaufen, um auf der letzten Runde anzuziehen. Doch schon nach 700 Metern wollte sie nicht mehr warten, entfernte sich sehr weit vom Rest und lief mal wieder unter vier Minuten ins Ziel. Dabei, sagte sie später, habe sie taktisch laufen wollen. Doch dann sei sie einfach losgerannt.

Dass Klosterhalfen so viel Interesse weckt, liegt nicht nur an ihren Leistungen, sondern auch an dieser beneidenswerten Leichtigkeit, die sie ausstrahlt. „Mir macht Laufen Spaß“, sagt sie. „Wäre das nicht der Fall, würde ich daran kaputtgehen. Ich mag diesen Flow, wenn man alles um sich herum vergisst, und ich mag es auch, an meine Grenzen zu gehen.“

Von Klosterhalfen ist bislang noch nicht viel bekannt. Wie schafft es eine junge Deutsche, die erfahrene ostafrikanische Weltspitze in der Mitteldistanz aufzuschrecken? Klosterhalfen, geboren in Bonn, begann mit fünf Jahren mit der Leichtathletik. Mit zwölf Jahren wurden die ersten Menschen in ihrem Umkreis auf ihre Leistungen aufmerksam. Sie trainierte immer mehr, wurde 2014 U-18- Meisterin, ein Jahr später wunderten sich dann die Biomechaniker beim Institut für angewandte Trainingswissenschaften (IAT) in Leipzig über ihre außergewöhnlichen Ausdauerwerte. Und wiederum ein Jahr später stand sie in der Sporthochschule Köln und wuchtete die Kugel beim dritten Versuch auf knapp über 6,70 Meter. Aufnahme geschafft.

Konstanze Klosterhalfen kann auch in London viel schaffen. Ihr Geheimrezept ist unschlagbar: vergessen und laufen.

Die Finalkämpfe der Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2017 in London.
Die Finalkämpfe der Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2017 in London.

© Bartel/Tsp

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