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Leichtathletik-WM: Nordic Walking ohne Stöcke

50 Kilometer Gehen – eine anstrengende Sportart, die an der Strecke humoristische Ausfälle provoziert.

Ein Hauch von Berlin-Marathon liegt über der Innenstadt – doch beim weltmeisterlichen 50-km-Gehen der Männer wirkt alles bedeutend undramatischer. Zwar gibt das Brandenburger Tor nach Westen ein ganz eindruckvolles Stadion ab, doch wer auf den Tribünen sitzt, der hat mit dem Renngeschehen so viel zu tun wie der deutsche Starter André Höhne mit der Goldmedaille.

Der Platzsprecher müht sich vergebens, die sehr entspannten Zuschauer in einen Beifallsorkan zu peitschen, es gibt ein paar Hallos und Huhs und Bravos, die Bässe bumpern zur Unterstützung aus den Lautsprechern, dann ist wieder Ruhe am Zaun, bis die Führenden nach ein paar Minuten mal wieder vorbeischauen. Denn das überschaubare Teilnehmerfeld lässt Lücken, die zum Abschweifen und Weitergehen einladen. Begeisterung ist anders.

Überhaupt: Gehen. „Das ist genau wie dein Nordic Walking“, erklärt einer seiner Frau, „nur ohne Stöcke.“ Und ein anderer behauptet, zur Begleiterin gewandt: „So sehe ich immer aus, wenn ich mit dir einkaufen gehe.“ In der Tat: Wer Gehen als Sport betreibt, der provoziert humoristische Ausfälle. Denn diese mit allen Muskeln wackelnde Art der Fortbewegung wirkt auf den ersten Blick, als wolle einer laufen, könne aber nicht. Und als könnte praktisch jeder mitmachen.

So sieht es jedenfalls im Fernsehen aus. Auf der Strecke – vom Brandenburger Tor zum Alten Fritz an der Staatsoper und zurück – wird die Realität sichtbar, spätestens, als der Russe Sergej Kirdjapkin nach seinem Sieg entkräftet zu Boden sinkt, während aus den Lautsprechern „Kalinka“ dröhnt. Anstrengend, sowas, und deshalb mühen sich die Besucher, die die Laufstrecke Schulter an Schulter säumen, ein wenig um Stimmungsmache, brechen für jeden anrückenden Geher in Jubel aus, der so schnell endet, wie er begonnen hat. Schließlich ist es ohne Spezialinformationen auch kaum ausmachen, ob der, der da gerade vorbeihastet, Spitzenreiter ist oder längst überrundet.

Am Pariser Platz geht das Rennen mehr oder weniger unmerklich in das dort ohnehin installierte „Kulturstadion“ über. Die Leute flanieren, schauen mal beim Wettkampf über den Zaun, kaufen eine Bratwurst oder besichtigen den neuen U-Bahnhof, der mit mineralisch duftender Kühle eine verlockende Alternative zur Gewitterluft draußen bietet. Auf der Bühne auf dem Pariser Platz sind ein paar weiß gekleidete Koreaner dabei, Weißkohl zu zerhacken, das hat nicht direkt mit dem Wettbewerb vor der Bühne zu tun, sondern ist Teil eines späteren Schaukochens, das irgendwie zum Kapitel Fanmeile gehört – zum Versuch, die Leute zu Menschenmengen zusammenzubringen, die wenigstens auf den Fernsehbildern nach Weltstadt und übersprudelnder Stimmung aussehen. Vor dem Adlon und in den anderen Cafés an der Strecke sitzen die Zaungäste, wie sie es immer tun, um die Boulevardstimmung zu genießen. Wer fünf Meter geht, ist auf fünf Fotos festgehalten, ob er will oder nicht.

Am Ende gibt es dann doch noch lokalpatriotischen Beifall. André Höhne ist unterwegs an den beiden lange führenden Kanadiern vorbeimarschiert, kommt unerwartet als Fünfter ins Ziel. Die Innenstadt bleibt dicht, morgen ist WM-Marathon. Und dann wird sich kaum noch einer an den Geher-Wettbewerb erinnern.

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