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Sport: Leichtfertiger Zauber

Bremen wird mit attraktivem Fußball Herbstmeister, hätte aber gern ein paar Punkte mehr geholt

Sicherheitshalber waren die 16 mannsgroßen Pappbuchstaben, die die Balljungen nach dem Spiel auf den Rasen schleppten, auf der Rückseite sorgfältig durchnummeriert. Das sollte nicht unbedingt Misstrauen in die orthographischen Fähigkeiten der Jugend im Pisa- Verliererland Bremen schüren, sondern war bloße Vorsichtsmaßnahme. Es wäre eben peinlich gewesen, wenn der SV Werder seine Fans nach einem Unentschieden auch noch mit „Rohe Nachtweihfen“ anstatt mit „Frohe Weihnachten“ in die Winterpause verabschiedet hätte. Nun hatte Werder aber durch den späten Freistoßtreffer des Verteidigers Naldo doch noch 2:1 gegen Wolfsburg gewonnen – und während die Balljungen ihre Ehrenrunde ohne Rechtschreibfehler zu Ende brachten, machte in der Mannschaft schon ein weiteres Wort die Runde.

Als „Meistertor“ hätten die Werder- Profis Naldos Treffer gefeiert, wurde aus der Kabine berichtet. Das Herbstmeistertor war es auf jeden Fall. „Es sind noch 17 Spiele, aber wenn wir weiter unsere Leistung bringen, kann uns keiner stoppen“, sagte Torsten Frings. Diese Zuversicht entsprang aber wohl eher der Erleichterung über den Sieg in letzter Minute als dem Spiel selbst. Denn die 90 Minuten waren ein Spiegelbild der kompletten Saison. In der ersten Halbzeit sah der Bremer Fußball wieder einmal so makellos aus, als würde er per Fernsteuerung aus der Stadthalle bedient, wo am Sonntag die größte Computerspiele-Party Deutschlands zu Ende ging. Doch mehr als ein Fallrückziehertor von Daniel Jensen und ein vergebener Elfmeter von Diego sprangen dabei nicht heraus. Auch für Werder zählen sehenswerte Tore nicht doppelt, weshalb Wolfsburg durch Isaac Boakye ausgleichen konnte. Am Ende musste Bremen über den knappen Sieg dankbar sein. Auch auf die gesamte Hinrunde bezogen hat Werder den besten Fußball gezeigt, hat mit 47 Toren weit häufiger getroffen als jede andere Mannschaft – dennoch findet der spektakuläre Spielstil in der Tabelle nur zum Teil seine Entsprechung, weil zur Ballzauberei zu oft die Leichtfertigkeit hinzu kommt. Die Bremer können zwar „in den nächsten Tagen immer mal auf die Tabelle schauen“, wie Christian Schulz ankündigte. Sie werden aber sehen, dass die Konkurrenz ihnen im Nacken sitzt. Schalke ist punktgleich, Bayern liegt nur drei, Stuttgart vier Punkte zurück.

Diese Diskrepanz zwischen Leistung und Punkten wollte Sportdirektor Klaus Allofs der Mannschaft aber nicht vorwerfen. „Wir hatten einige schwächere Spiele, aber man darf nicht vergessen, dass wir uns wegen der WM kaum richtig auf die Saison vorbereiten konnten. Ich bin zufrieden.“ Trainer Thomas Schaaf war darüber hinaus froh, die Spieler für zwei Wochen in den Urlaub schicken zu können. „Wir muten den Spielern einiges zu“, sagte Schaaf. „Unsere Nationalspieler hatten jetzt drei Jahre lang ununterbrochen volles Programm ohne richtige Vorbereitung. So kann es nicht weitergehen. Sonst geht das zu Lasten des Fußballs.“

Doch der Terminplan wird sich in der Rückrunde kaum entspannen. Werder will neben der Meisterschaft auch den Uefa-Cup gewinnen. Einschließlich des Finales müsste Bremen dafür neun Spiele bestreiten, zusätzlich zu Bundesliga und Länderspielen. Werder wird sich an den Drei-Tages-Rhythmus gewöhnen müssen. Schalke oder Stuttgart haben dieses Problem nicht. Und der FC Bayern kündigt ja schon seit Wochen an, dass den müden WM-Spielern zur Rückrunde Pferdelungen wachsen werden.

Auch für Werder könnte die Winterpause Neues bringen. Leon Andreasen wird womöglich nach Hannover ausgeliehen, ob Ivan Klasnic bleibt, ist unklar. „Sollte ein Spieler gehen, wollen wir uns noch einmal verstärken“, sagt Allofs. Ein Kandidat ist der Aachener Jan Schlaudraff, um den die Spitzenklubs derzeit kämpfen, als würde die Meisterschaft in den Verhandlungen mit der Alemannia entschieden. „Wenn es allein ums Geld geht, können wir mit Bayern nicht mithalten“, sagt Allofs. Sportlich, sollte das heißen, sieht es anders aus.

Steffen Hudemann[Bremen]

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