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Sport: „Leipzig hat größere Werte als New York“

Bewerbungschef Peter Zühlsdorff über die Olympia-Chancen für 2012 und den Osten als treibende Kraft für Deutschland

Herr Zühlsdorff, was finden Sie an New York am schönsten?

Dort zu leben. Ich habe zwei Jahre da gewohnt, und es war eine einzige Herausforderung. Jeder Häuserblock ist ein Dorf für sich. Je nach Laune kann man von einer Stimmung in die andere gehen.

Stellen Sie sich einmal New York und Leipzig, zwei Konkurrenten um die Olympischen Spiele 2012, als Menschen vor: Ist dann New York eine reiche Dame und Leipzig ein armer Arbeiter?

Vielleicht, wenn Sie nur nach materiellen Maßstäben gehen. Die Werte einer Stadt wie Leipzig sind aber ungleich größer als die New Yorks. Nehmen Sie die Kultur und die Geschichte. Die Geschichte New Yorks hat erst vor 220 Jahren begonnen. Deswegen muss man relativieren, was Reichtum ist.

Kann es sein, dass Sie das Weltläufigste an der Leipziger Olympiabewerbung sind?

Weiß ich nicht, aber ich habe auf jeden Fall auf der ganzen Welt Erfahrungen gesammelt und gelernt zu kommunizieren. Das fängt damit an, dass man sich auf andere Kulturen einstellt und nicht einfach eine Botschaft hinausposaunt. Man muss den Menschen zuhören. Menschen sind doch das Interessanteste im Leben.

Wie viele Leute gibt es im Internationalen Olympischen Komitee, die diese Dinge zu schätzen wissen?

Wenn ich das am Präsidenten Jacques Rogge festmache, würde ich sagen: eine ganze Menge. Er hat bei seinem Besuch in Leipzig auf mich den Eindruck eines Menschen mit sehr hohen ethischen Vorstellungen gemacht, der aber auch weiß, was machbar ist.

Hat Leipzigs Bewerbung einen ethischen Charakter?

Ja, ganz klar. Meine Überschrift lautet: Die Leipziger Bewerbung ist die erste Sache, bei der die Menschen im deutschen Osten sagen: Wir versuchen uns jetzt im Wettbewerb mit der großen Welt. Wir helfen uns selbst. Das ist unendlich identitätsfördernd.

Das Problem ist nur, dass in der Vorauswahl ein Computer nach technischen Standards entscheidet, und der hat keinen Sinn für Werte.

Richtig, aber wir gehen fest davon aus, dass Leipzig die nächste Stufe erreicht. Außerdem: Der Tourismus in Leipzig steigt kontinuierlich an seit dem Tag, an dem die Stadt die nationale Vorausscheidung gewonnen hat. Die Wirtschaft hat durch die Förderung erkannt: Wir können Dinge zusammen tun. Diese Bewerbung ist ein Moment der Beschleunigung, der die Menschen und die Wirtschaft zusammentreibt. Das wird auch im negativen Fall nicht verloren gehen.

Ist das schon das Trostpflaster, das Sie für den Fall der Niederlage bereitgelegt haben?

Nein, ich sage es so, wie ich es empfinde. Die Bewerbung ist ein bleibender Wert, auch wenn es schief geht. Umgekehrt: Wenn es weitergeht, wird der Moment der Beschleunigung noch massiv erhöht.

Es gibt viele schwer einschätzbare Faktoren in der Bewerbung, etwa die Hotelfrage. Jacques Rogge hat bei seinem Besuch das Leipziger Konzept, Gäste in sanierten Altbauwohnungen unterzubringen, gelobt. Haben Sie noch andere Anstrengungen unternommen, um den Computer zu beeinflussen?

Nein, der Computer kann nur das messen, was im Fragebogen steht, den wir abgeben mussten. Aber mit entscheidenden Leuten werden wir noch ausführlich reden. Ich weiß heute, dass unsere Mannschaft alles versucht hat. Die Politik und die Wirtschaft, die Bevölkerung – wir ziehen an einem Strang. Insofern sind wir unserem Slogan entsprechend tatsächlich schon „one family“.

Und das liegt an Bundesinnenminister Otto Schily, der nach den Skandalen im vergangenen Jahr aufgeräumt hat?

Ich glaube nicht, dass das ein Einzelner für sich beanspruchen kann. Otto Schily hat mit seinem Engagement im November etwas Tolles für die Bewerbung bewirkt, hat ihr neuen Schwung gegeben. Dabei war es sicher geschickt, jemanden wie mich in die Geschäftsführung zu holen, der nicht so leicht angreifbar ist.

Aber wenn Sie jetzt scheitern, haben Sie Ihren Job nicht richtig gemacht.

Wenn Sie das als Maßstab sehen, ja. Für mich gibt es aber eine andere Sicht. Wenn ich weiß, ich habe das Bestmögliche getan, ist das Ergebnis zweitrangig.

Vor einem halben Jahr steckte Leipzigs Bewerbung in der Krise, es gab Skandale und Streit zwischen allen Beteiligten. Dann kamen Sie und haben über Konzepte geredet. Seitdem stehen Sie mehr im Mittelpunkt als NOK-Präsident Klaus Steinbach und Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee.

Ich habe nicht das Empfinden, dass ich im Vordergrund stehe. Ich halte mich zurück. Selbstverständlich verkünde ich alle wichtigen Sachentscheidungen. Aber repräsentiert wird die Bewerbung durch die zwei Spitzen des Aufsichtsrates, Herrn Tiefensee für Leipzig und Herrn Steinbach für den Sport.

Aber die beiden treten weniger in Erscheinung als vor Ihrer Bestellung.

Das war ja der Kern des ganzen Unterfangens. Herr Tiefensee hat mit seinem Enthusiasmus die ganze Geschichte losgetreten. Er hat den Mut gehabt zu sagen: Wir Leipziger bewerben uns. Dann ist er marschiert, und alle anderen sind ihm gefolgt. Später hat die Überleitung von der nationalen in die internationale Bewerbung nicht gleich geklappt. Nicht alle haben sofort verinnerlicht, dass es nun ein neues Spiel ist. In meiner Anfangszeit in Leipzig haben wir das Miteinander von Aufsichtsrat und Bewerbungskomitee neu definiert, da ist der Aufsichtsrat meinem Vorschlag gefolgt.

Welchem Vorschlag?

Ganz einfach: Wir als Bewerbungsgesellschaft bekommen aus dem Aufsichtsrat die Zutaten, also von der Stadt, vom Land und vom Sport. Wir sind dann eine Art Topf, in dem wir das Gericht aus diesen Zutaten rühren; anschließend servieren wir dem Aufsichtsrat das Essen.

Also wird das Essen nicht mehr von Herrn Steinbach und Herrn Tiefensee verteilt?

So gesehen ja, das ist auch nicht ihre Aufgabe. Wenn sich ein Aufsichtsrat ins operative Geschäft einmischt, hört jede Kapitalgesellschaft auf, juristisch zu existieren.

Sie sind ein Wirtschaftsmanager. Wie haben Sie die Sportpolitik kennen gelernt?

Ich habe erfahren, dass Sport ein enormer wirtschaftlicher Faktor ist und eine außerordentliche politische Bedeutung hat. Und die Sportpolitik ist eine Welt, in der jeder jeden schon lange kennt.

Mit Ausnahme von Ihnen.

(lacht)

Herr Schily sagte, Sie verstünden Ihre Aufgabe als Patriotismus.

Das mit dem Patriot ist mir etwas zu viel Pathos. Richtig ist: Ich wollte etwas für den Aufbau Ost tun. Das würde ich gerne auch nach der Bewerbung tun. Aber jetzt kommen wir erst einmal weiter.

Herr Zühlsdorff, was finden Sie an Leipzig am schönsten?

Die Menschen. Ich glaube, dass die jungen Ostdeutschen hier eine Menge bewegt haben, egal, wie es ausgeht. In zwanzig Jahren ist diese Generation vielleicht die treibende Kraft für Deutschland.

Das Gespräch führten Robert Ide und Friedhard Teuffel.

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