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© ddp

Leistungsdruck: Spiel mit Seele

Ändert sich der Fußball wirklich nach Robert Enkes Tod? Betroffene zweifeln, sehen aber Ansatzpunkte.

Sebastian Deisler wird heute 30 Jahre jung. Der Nationalspieler, der vor sechs Jahren seine Depressionen öffentlich gemacht hatte und damit das Bild vom Profifußball veränderte, ist gerade dabei, gesund zu werden und in ein neues Leben zu finden. Der Profifußball rollt derweil weiter wie gehabt. Kann sich diese Welt zwischen Leistungsdruck und Millionengehältern überhaupt nachhaltig wandeln? Haben sich die Momente der Nachdenklichkeit nach dem Freitod von Nationaltorhüter Robert Enke, der seinen Versagensängsten im vergangenen November nur auf einem Bahndamm zu entkommen glaubte, im Fußball verfestigt? Oder ist das unmöglich in einem Mannschaftssport, bei dem es für jeden einzelnen Spieler nur ums Gewinnen gehen kann?

Den Profifußball gibt es wohl nur so – oder gar nicht. Jörg Neblung will sich dabei keinen Illusionen hingeben. Er war der Berater von Robert Enke und gehörte zu den wenigen Menschen, denen sich der Torwart mit seiner Krankheit anvertraut hatte. „Die Leistungsgesellschaft an sich wird sich nicht verändern, diese Form des Darwinismus bleibt bestehen“, sagt Neblung, „aber es könnte ein bisschen mehr Sensibilität für menschliche Schwächen geben, das höre ich aus Gesprächen mit Verantwortlichen aus dem Fußball heraus.“ Für einen veränderten Umgang spräche aber eher die Auseinandersetzung, als es konkrete Aktionen tun können. Denn wie sollen die aussehen?

„Die Einstellung eines Psychologen in einem Verein halte ich für falschen Aktionismus“, sagt Neblung. Ein solcher Psychologe gehörte zum Trainerstab und stünde nicht eindeutig aufseiten des Spielers. Neblungs Vorstellung nach seinen Erfahrungen mit Enke ist eher eine andere: „Dass ein Verein zu Beginn einer Saison einen qualifizierten und unabhängigen Ansprechpartner vorstellt, der sich dann wieder zurückzieht. So hätten Spieler eine externe Anlaufstation, an die sie sich anonym und diskret wenden können.“

Die Fußball-Spielergewerkschaft VdV hat sich ihrerseits vorgenommen, das Präventionsangebot mit der Berufsgenossenschaft und mit wissenschaftlicher Hilfe zu verbessern. „Wir brauchen ein Netz, in das sich Betroffene völlig anonym fallen lassen können“, sagt VdV-Geschäftsführer Ulf Baranowsky. Dazu könne der Ausbau von telefonischer Beratung gehören.

Am Sonntag hatte sich im Tagesspiegel ein Fußballspieler offenbart und über seine Depressionen gesprochen. „Diese Krankheit, die als Sinnbild für Schwäche und Versagen steht, passt nicht zu diesem Leistungssystem“, sagte der langjährige Profi, der anonym bleiben wollte. „Es wird schwer, eine Selbsthilfegruppe zu finden, weil jeder froh ist, sich damit nicht identifizieren zu müssen.“

In der auf Erfolg getrimmten Welt Profifußball hat die Nachdenklichkeit noch keinen Platz finden können. „In den 90 Minuten wird man kaum etwas ändern können“, sagt Rainer Koch, Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). „Wir können nur versuchen, im Umfeld der 90 Minuten Tabus abzubauen.“ Aus Sicht von Koch, der mit Bayern auch den größten Fußball-Landesverband vertritt, hat die neuerliche Debatte über Depressionen im Fußball immerhin gezeigt, „dass Kranke sich nicht mehr alleine fühlen müssen“. Die Gesellschaft habe Verständnis und Mitgefühl gezeigt. Aber wie lange halten diese Gefühle – vor allem im Fußball selbst? Bernd Schultz, der als Chef des Berliner Fußball-Verbandes gut 300 Vereine vertritt, zeigt sich da sehr skeptisch. „Das Leiden zu erkennen, ist überaus schwierig. Aber noch schwieriger ist es sicher in vielen Mannschaften, das Leiden zu akzeptieren und damit richtig umzugehen.“ Schultz ist im Berliner Fußball bisher kein Spieler mit Enkes Leiden bekannt.

Einer hat in einer Mannschaft eine besondere Verantwortung: der Trainer. Er kann Spieler schützen, was für den früheren Enke-Berater Neblung gerade bei jungen Spielern mit Angstzuständen wichtig ist, denn „Ängste können eine Vorstufe für Depressionen sein“. Oft seien es lapidare Aussagen eines Trainers, die einen Spieler herunterziehen. „Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass sich Spieler oft noch Monate später mit einem Satz ihres Trainers beschäftigen, den er vielleicht nur so dahingesagt hatte“, sagt Neblung.

Dass der Druck auch von den Rängen kommt, beklagen betroffene Spieler. Schon beim ersten Länderspiel nach Enkes Suizid wurde in Gelsenkirchen der eingewechselte Stürmer Mario Gomez ausgepfiffen – bevor er den Ball berührt hatte. Anfang Dezember mussten die Spieler des VfB Stuttgart aus ihrem Mannschaftsbus mitansehen, wie Fans ihnen mit den Händen drohten, die Kehlen durchzuschneiden. „Wenn ihr absteigt, bringen wir euch um“, grölten Randalierer. Kurz darauf wurde – quasi auf Druck der Straße – Stuttgarts Trainer Markus Babbel entlassen, obwohl er zuvor eine Jobgarantie bis zur Winterpause ausgesprochen bekommen hatte. Die nach Enkes Tod eingeforderte Nachdenklichkeit bezeichnete Babbel nach diesen Szenen als „Heuchelei“.

Immerhin, der DFB hat im November eine Stiftung gegründet und nach Robert Enke benannt. Das Startkapital von 150 000 Euro kommt vom Verband, der Deutschen Fußball-Liga und Enkes Heimatverein Hannover 96. Depressionen zu erforschen, aufzuklären und zu behandeln ist das Ziel der Stiftung.

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