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Sport: Live aus dem Elfenbeinturm: Das Ende der Kugelmenschen

Eine Einstellung offenbarten diese Burschen, skandalös. Soffen, rauchten und trieben es kunterbunt, früh um sechs Uhr gingen sie ins Bett, dabei hatten sie am nächsten Tag auf dem Platz zu stehen.

Eine Einstellung offenbarten diese Burschen, skandalös. Soffen, rauchten und trieben es kunterbunt, früh um sechs Uhr gingen sie ins Bett, dabei hatten sie am nächsten Tag auf dem Platz zu stehen. Einer von ihnen soll sich gar irgendein Pulver in die Nase gezogen haben. Es gibt Augenzeugen und einen beglaubigten Bericht. Wer die Schlingel waren? Nun, Phaidros war dabei, Aristophanes und Agathon, Sokrates, eh klar, und später stieß noch Alkibiades hinzu. Zugegeben, die Sache ist gut 2500 Jahre her und damit, vom sportjournalistischen Standpunkt aus, ein wenig hinten dran. Aber substanziell scheint sich am Lotterleben unserer Idole nichts geändert zu haben.

Gerade in den letzten Wochen nämlich sind sie wieder im Gerede, die Ballvirtuosen und ihre Lebensverhältnisse. Frauengeschichten, insbesondere. Aus ganz Europa purzeln sie ein. Manche noch zum Schmunzeln, andere zum Grausen. Wenn Herthas Marcelinho voll betankt durch die Spielstraße rauscht, wer wollte da den ersten Stein werfen? Schon weiter trieben es unlängst fünf Prachtkerle des FC Barcelona, die sich ihre Nachtstunden vor einem Auswärtsspiel mit einer Orgie verkürzten. Die nötigen Damen wurden wie Pizza bestellt. Vermutlich war die Play-Station defekt. Was sollten sie also anderes tun?

Gar nicht zum Scherzen ist der Fall des Juve-Stars Edgar Davids, dessen ehemalige Lebensgefährtin ihn wegen Körperverletzung anzeigte und dem als Wiederholungstäter nun eine mehrjährige Haftstrafe droht. Bereits wegen sexueller Nötigung verurteilt, darauf gleich ausgemustert und ebenso zügig wieder begnadigt wurde der Libero des 1. FC Kaiserslautern Hany Ramzy. Von hier aus ließe er sich dann problemlos ausbauen, der Stereotyp vom Fußballmacho. Weiß doch schließlich jeder, wie die so sind. Wie alle Männer eben, nur ein bisschen mehr. Und wer wollte ernsthaft leugnen, dass die durch den Fußball und seine Quotenbrüder (Formel 1 und Boxen) gepriesenen Verhaltensformen ihren Anteil daran haben: an übel zugerichteten Frauen in der täglichen Notaufnahme zum Beispiel, die aus reiner Scham erschwindeln, wie "unglücklich sie die Treppe runter gefallen" oder "gegen die Tür gelaufen sind"?

Ihr Mann zu Hause mag sich derweil über den Nacktphotos einer Olympiasiegerin weiter entstressen. Schaut halt gut aus, das Mädel. Und was ist schon dabei, "hauptsächlich fürs eigene Fotoalbum", wie es gemäß der offiziellen Sprachregelung heißt, ein paar professionelle Bilder von sich schießen zu lassen? Führt Fußball zu Männergewalt? Welche unserer Sprintköniginnen brächte es im Playboy am schnellsten?

Wie bei allen ernsthaften und größeren Fragen empfiehlt sich ein Rückzug zu den alten Griechen. Die haben zwar auch keine Antworten, dafür aber wenigstens schöne Geschichten. Die von den Kugelmenschen beispielsweise. Es war bei besagtem Skandalgelage (Symposion) anno 416 vor Christus. Der gute Aristophanes, so berichtet uns Plato, hatte sein Nasenkribbeln endlich in den Griff bekommen, da begann er sie auch schon zu erzählen, die Geschichte vom Eros und der Ballverliebtheit des Menschen. Davon, weshalb wir einander nach der Götter Willen streicheln sollen, und gewiss auch davon, warum die großen Ballspiele es uns schon immer so herzlich antun. "Ehedem nämlich war unsere Natur andersartig. Es gab damals ein mannweibliches Geschlecht, aus beiden, aus dem männlichen und dem weiblichen zusammengesetzt. Rund war damals die ganze Gestalt des Menschen." So kugelrund und unschuldig vereint ging es uns prächtig. Im Übermut rückten die Kugelmenschen gar den Göttern zu Leibe, worauf Zeus bald bange entschied, besser "jeden in zwei Hälften zu zerschneiden". Von Sehnsucht verzehrt suchen wir Menschen seit jenem Schicksalstag - es gab übrigens im Urzustand, gut so, auch Mann-Mann- und Frau-Frau-Versionen - "beständig das uns entsprechende Gegenstück".

Geradezu mit Händen zu greifen ist dabei, wie uns die Griechen mit diesem Mythos auch Entscheidendes über das Wesen des Ballsportes überlieferten. Über die Utopie von einem neuen, runden Menschen, die sich noch heute aus einem virtuosen, gewitzten und liebevollen Umgang mit dem Ball ableiten lässt. Über den Eros des fairen Spiels, seiner bereichernden Freuden und den Trikottausch danach. Natürlich könnten wir so weiter machen. Doch mahnte uns nicht zuletzt der alles zerspaltende Zeus ganz eindringlich davor: "Sollten sie aber weiter noch sich der Zuchtlosigkeit geneigt zeigen, so werde ich sie abermals in zwei Hälften schlagen, so dass sie auf einem Beine hüpfen müssen wie die Schlauchhüpfer." Schrecklich, diese Vorstellung. Aufs neue halbiert, einbeinig hupfend wäre es endgültig vorbei mit dem Traumfußball, mit froher Ballbehandlung, der Liebe überhaupt. Worauf hätten solch hüpfende Wesen zu hoffen, wozu wären sie nutze? Bei allen Göttern, wir ahnen es: Formel 1 fahren, das könnten sie wohl noch.

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