zum Hauptinhalt

Live aus dem ELFENBEINTURM: Woran scheitert Lukas Podolski?

Über das mutmaßlich größte Talent des deutschen Fußballs

Wie bei Prinzchen sollte er es haben. Mit diesem Exzellenzversprechen lockte der FC Bayern vor zwei Jahren das mutmaßlich größte Talent des deutschen Fußballs nach München. „Luuukas Podolski!“ dröhnte es bald euphorisch aus der Südkurve. Nun nicht mehr, und wohl nimmermehr. Podolskis Tage beim Rekordmeister – die winterliche Erwerbsaktivitäten der Bayern beweisen es – sind gezählt. Sein Scheitern ist ein verkündbares Faktum.

Gewiss, es gab da Verletzungen, es gibt Luca Toni und Miroslav Klose, doch wer erinnert, mit welchen Erwartungen die Ankunft des jungen Zweitligaheroen verknüpft war, kann dies nicht allein gelten lassen. Schließlich ließen Podolskis Anlagen seinen Weg in die Weltklasse als schlicht unausweichlich erscheinen: starke Konstitution, explosiver Antritt, angstfreie Psyche, linker Präzisionshammer, waches Passauge sowie eine erfrischend gedankenfreie Abschlussfreude. Das Rheinische Naturwunder besaß es einfach, das gewisse Etwas, das man nicht lernen und schon gar nicht kaufen kann.

Im Jahre 2006 noch zum „Besten Jungen Spieler der WM“ gewählt, hat Podolski den Leistungsanschluss an seine gleichaltrigen Sturmkollegen Wayne Rooney, Cristiano Ronaldo und Fernando Torres mittlerweile hoffnungslos verloren. Auch national scheint er in der Stammelf auf Sicht nicht mehr zu halten. In signalfarbenen Filzdecken vor sich hinfröstelnd, stellt Lukas Podolski den mitleidenden Beobachter deshalb vor die schmerzliche Grundsatzfrage, weshalb aus einem Spieler mit größten Anlagen kein großer Spieler werden wollte.

Besonders kontrastreich tritt dieses Rätsel vor Augen, vergleicht man Podolskis Werdegang mit dem seines Mannschaftskollegen und Generationsgenossen Philipp Lahm. Denn von all dem, was wir an Lukas bestaunen, ward dem guten Philipp nichts in die Fußballwiege gelegt. Den körperlichen Anlagen nach eher zum Jockey prädestiniert, wurde der schmale Rechtsfuß in der Jugend vom Sturm nach hinten durchgereicht, wo er dann auch noch von rechts auf links umschulen musste. Undankbarer geht es wohl nicht.

Doch während Podolski heute nicht einmal mehr zu sagen wüsste, auf welcher Position er keinen Stammplatz hat, ist Lahm in Verein und Auswahl auf beiden Flanken unersetzlich, sogar als gestaltende Zentral-Sechs hat er potenzielle Hausmacht. Was hat Lahm, was Podolski nicht hat?

Wohl niemand hat darauf eine erhellendere Antwort anzubieten als der französische Philosoph und Pädagoge Jean Jacques Rousseau in seinem „Traktat über die Ursachen der Ungleichheit zwischen den Menschen“. Dort heißt es: „Denn wo das Tier bereits nach wenigen Monaten das ist, was es für den Rest seines Lebens bleiben wird, besitzt der Mensch eine besondere Fähigkeit: Der Mensch besitzt die Fähigkeit, sich zu vervollkommnen, eine Perfektibilität, die es ihm, je nach seinen Lebensumständen, ermöglicht, alle weiteren Fähigkeiten zu entwickeln.“ Voilá. Philipp Lahm, der versatile Alleslerner, ist das fußballerische Paradebeispiel für Rousseaus These von der grundmenschlichen Fähigkeit zur willentlichen Selbstvervollkommnung. Podolski hingegen, traurig und wahr, verharrt seit Jahren im Naturzustand seiner Genialbegabung. Bedrückender noch, was Podolski scheitern lässt, ist aus der gewählten Perspektive genau das, was ihn als Spieler so faszinierend macht. Denn seine überragenden Naturanlagen haben es ihm nie abgenötigt, jenes gewisse und im Weltklassebereich alles entscheidende Etwas zu entwickeln: die Fähigkeit zur Erweiterung der eigenen Fähigkeiten.

Insbesondere seine größten Fürsprecher, allen voran Joachim Löw, beweisen die Richtigkeit dieser Analyse, indem sie Podolski immer wieder in gut Rousseauscher Romantik als „reinen Instinktfußballer“ preisen – und damit das eigentliche Problem zur Lösung verkehren.

Der Schaden mag am Ende gering sein, für den deutschen Fußball, für den FC Bayern, vor allem aber für Podolski selbst. Sein sonniges Gemüt wird sich gewiss auch an zehn Karrierejahren als Sturmführer von Hannover 96 oder (besser noch) des 1. FC Köln herrlich zu erfreuen wissen. Wie bei Prinzchen wird er es dort haben. Was aber Philipp Lahm betrifft, so verlangt dessen einzigartige Fähigkeit zur fortlaufenden Vervollkommnung zwingend nach neuen taktischen Kontexten. Dem Vernehmen nach ist bereits ein Vorvertrag mit dem FC Barcelona unterzeichnet. Die einzig würdige Wahl für das größte Talent des deutschen Fußballs.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false