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Jürgen Klinsmann hält nichts von 24 Teams bei der EM.

© AFP

Löw-Vorgänger zur Fußball-EM: Jürgen Klinsmann: "Die Vorrunde ist verwässert"

Die EM in Frankreich beobachtet Jürgen Klinsmann aus der Ferne. Mit den USA steht er im Halbfinale der Copa America - und schwärmt von einem Hertha-Profi. Ein Interview.

Herr Klinsmann, Ihr Team hat das Halbfinale der Copa America erreicht und trifft dort auf Vizeweltmeister Argentinien. Was bedeutet das für die USA?

Wir sind ja hier im Turnier ein bisschen weiter, als ihr es bei der EM seid. Die Halbfinals stehen fest. Wir sind unglaublich stolz, jetzt noch dabei zu sein. Das war auch unser großes Ziel. Jetzt sind wir noch hungriger, jetzt wollen wir auch ins Endspiel. Na klar wartet mit Argentinien jetzt ein dicker Brocken, aber wir haben keine große Angst mehr vor solchen Gegnern. Wir haben in Freundschaftsspielen immer wieder solche Gegner gesucht. Das hat uns mit der Zeit ein Gefühl des Wachstums gegeben, die Spieler werden mutiger.

Der US-Auswahl ist oft fehlende Wettkampfhärte nachgesagt worden. Sie sind mit einer Niederlage in die Copa gestartet und waren gleich unter Druck. Inwiefern helfen Ihnen die Spieler aus der Bundesliga?

Uns hilft jeder Spieler, der in einer der Top-Ligen spielt. Das ist von großer Bedeutung für uns. Zumal auch die Copa zeigt, welchen Reifeprozess die Spieler noch einmal durchlaufen haben. John Anthony Brooks zum Beispiel ist im Moment der beste Innenverteidiger der Copa. Er spielt ein großartiges Turnier. Oder Bobby Wood, der andere Berliner. Als ich den vor zwei Jahren von 1860 München zu uns geholt habe, wurde ich ausgelacht. Jetzt ist er bei Union durchgebrochen und wechselt zum HSV. Seine Entwicklung ist phänomenal, vor dem haben sie hier großen Respekt. Das gilt auch für Brooks. Man muss den jungen Kerlen in der Anfangszeit auch mal ein schlechtes Spiel zugestehen, dann wird man als Trainer seine Freude haben. Ich bin froh um diese Mischung aus europäischem Potenzial, mexikanischer Erfahrung und unseren hiesigen Jungs.

Wie ist Argentinien beizukommen?

Das ist natürlich eine große Hausnummer, aber für uns ist wichtig, den allzu großen Respekt abzulegen. Ich sage nur: Let‘s go for it! Uns fehlen zwar drei Spieler wegen Sperren, aber wir sind nicht chancenlos. Wir müssen Mut zeigen und kompakt agieren. Argentinien kann dich in nur einer Sekunde auskontern. Wir müssen gleich aggressiv reingehen. Hier gibt es keine Verlängerung. Sollte es nach 90 Minuten unentschieden stehen, geht es direkt ins Elfmeterschießen.

Wie werden Sie Ihre Mannschaft einstellen?

Wichtig ist der Glaube, das Selbstvertrauen, es zu können. Das werden wir den Spielern schon eintrichtern. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen den Moment begreifen und zupacken. Sie spielen auf einer der größten Bühnen des Weltfußballs und das sollen sie gefälligst auch nutzen.

Durchgesetzt. John-Anthony Brooks im Spiel gegen Ecuador.
Durchgesetzt. John-Anthony Brooks im Spiel gegen Ecuador.

© AFP/Redmond

Das US-Team umweht seit Jahren das Image des Underdogs. Wie schwer ist es, dieses Image abzustreifen?

Die Fußballkultur ist hierzulande noch nicht da, wo sie in Südamerika und Europa ist. Aber Fußball ist mittlerweile in den USA der meistgespielte Sport im Kinder- und Jugendbereich. Dass das insgesamt noch wachsen muss, wissen wir alle. Das Underdog-Image war traditionell immer da, dem Fußball fehlen die großen Erfolge, wie sie Football, Eishockey oder Basketball vorzuweisen haben. Aber ich habe vom ersten Tag hier gesagt: Wenn wir unter die Top 10 oder Top 15 der Welt kommen wollen, müssen wir dieses Image, müssen wir die alten Gedanken ablegen. Auch deswegen suchen wir immer wieder Duelle mit den großen Fußballnationen. Auch wenn wir ab und zu mal was auf die Mütze bekommen. So kapieren immer mehr, das was möglich ist.

Bei der WM vor zwei Jahren hat die deutsche Elf Argentiniens Wunderstürmer Messi aus dem Spiel nehmen können. Haben Sie mal Ihren früheren Assistenten Joachim Löw nach Rat gefragt?

Kontakt haben der Jogi und ich ja immer. Ob ich jetzt diese Frage stelle – vielleicht ein gute Idee (lacht). Ich habe meiner Mannschaft gesagt, dass es eine große Freude ist, da zu stehen. Wir haben 25 Prozent Chancen, die Copa zu gewinnen. Noch trennen uns davon zwei große Hürden: Argentinien und dann das Finale. Aber warum sollen wir es nicht schaffen, gegen Argentinien zu bestehen?

Die USA sind anlässlich der 100. Copa erstmals Gastgeber. Welches Signal würden Sie sich wünschen?

Das ist ein Geschenk Gottes. Unser Halbfinale, das von Dienstag auf Mittwoch deutscher Zeit in Houston stattfindet, ist mit 70.000 Zuschauern ausverkauft. Es war einen kleiner Erziehungsprozess. Die Copa hat immer in Südamerika stattgefunden, jetzt sind wir Gastgeber, es ist wunderbar und eine großartige Bewerbung für eine WM 2026 in den USA.

Allerdings gab es auch Misstöne. Ihr Verbandspräsident Sunil Gulati kritisierte Sie nach der Auftakt-Niederlage sogar persönlich. Sorgt Sie das nicht?

Ach, die Amerikaner sind generell sehr statistik- und resultatbezogen. Natürlich muss jeder Trainer in einer gewissen Zeit auch Ergebnisse vorlegen, aber die will ich ja auch vorlegen. Bei der WM in Brasilien wollten wir die Gruppenphase überstehen. Wir haben dann Portugal und Ghana hinter uns gelassen. Und jetzt haben wir hier das Halbfinale erreicht. Also ich habe kein Problem mit diesem Denken.

Wie zu hören ist, verfolgen Sie und Ihr Assistent Berti Vogts auch einige EM-Spiele. Was halten Sie vom Niveau?

Durch die Zeitverschiebung können wir hier einiges sehen. Im Vergleich dazu sind die Spiele hier bei der Copa sehr emotional, sie sind körperbetont und auf einem guten fußballerischen Niveau. Ich persönlich glaube, dass man sich keinen Gefallen getan hat, das Turnier auf 24 Mannschaften auszudehnen. Dadurch ist die Vorrunde verwässert, wie auch die Gruppenphase der Champions League nicht mehr das Kaliber hat. Die EM wird erst mit der K.-o.-Runde so richtig losgehen.

In Deutschland herrschte nach dem 0:0 gegen Polen helle Aufregung. Teilen Sie diese?

Nein, denn ich weiß, wie wahnsinnig schwer es geworden ist, solche Bollwerke zu knacken, wenn du Favorit bist – egal ob Deutschland, Frankreich, England oder Spanien. Erst, wenn du sie das erste Mal geknackt hast, lösen sie sich ein bisschen. Alle Mannschaften sind heute taktisch geschult darin, gut zu verteidigen. Das ist ein globaler Trend. Es gibt kaum noch Mannschaften, die ins offene Messer laufen. Die deutsche Mannschaft ist ein Mitfavorit, es wird sich auch so entwickeln. Passt schon alles.

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