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Sport: Löws Schattenkabinett

Wegen zu vieler Länderspiele wird der Bundestrainer im Frühjahr 2007 ein Perspektivteam einrichten

Auf diesen Moment hat Kevin-Prince Boateng lange gewartet, für seinen Geschmack vielleicht sogar ein bisschen zu lange. Es ist ja bekannt, dass der Mittelfeldspieler von Hertha BSC von sich und seinen fußballerischen Fähigkeiten mehr als überzeugt ist und dass er es nur für eine Frage von kurzer Zeit hält, bis er auch für die deutsche Nationalmannschaft spielen darf. Gestern ist Boateng erstmals nominiert worden. Zumindest so gut wie. Wenn die Nationalmannschaft im März 2007, wenige Tage nach dem EM-Qualifikationsspiel in Tschechien, in Duisburg auf einen noch nicht feststehenden Testgegner trifft, soll der Perspektivkader, eine Art Schattenkabinett des Bundestrainers Joachim Löw, zum Einsatz kommen. Zu diesem Kader gehören nach derzeitigem Stand Stefan Kießling und Gonzalo Castro von Bayer Leverkusen, der Mönchengladbacher Eugen Polanski – und natürlich Boateng.

Die Nachricht, die Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, gestern überbrachte, richtete sich vor allem an die Bundesliga, die regelmäßig über die zu hohe Belastung für die Nationalspieler murrt. „Die Thematik, dass für uns Spieler die Grenze erreicht ist, ist ja nicht neu“, sagt Kapitän Michael Ballack. Neu ist auch nicht, dass der Bundesliga dies immer unmittelbar vor einem Länderspiel auffällt. So ist es auch diesmal wieder. Zwei Tage vor der Begegnung auf Zypern (Mittwoch, 20 Uhr, ZDF) wurde vom Magazin „Focus“ die Klage des Bremer Trainers Thomas Schaaf in die Welt getragen, dass die Zahl der Länderspiele reduziert werden müsse. „Ehrlich gesagt wundere ich mich manchmal ein bisschen über die Diskussion“, entgegnete gestern Oliver Bierhoff. „Es kann nicht immer nur sein, dass man schreit: Die Nationalmannschaft muss weniger spielen.“

Der Vorwurf ist auch deshalb ein bisschen unfair, weil der neue Bundestrainer Joachim Löw sehr viel mehr Rücksicht auf die Liga nimmt, als es dessen Vorgänger Jürgen Klinsmann je getan hat. Das Testspiel im März 2007 schreibt diesen neuen diplomatischen Kurs fort. Vor einem Monat gegen Georgien schickte Löw eine punktuell verstärkte B-Nationalmannschaft aufs Feld, um seinen Stammspielern etwas Ruhe zu gönnen. Auf den Bremer Per Mertesacker verzichtete er damals ganz, obwohl an Abwehrspielern Mangel herrschte, genauso sah der Bundestrainer diesmal von einer Nachnominierung des gerade erst genesenen Tim Borowski ab. Löw könnte den Bremer gut gebrauchen. Der Bundestrainer musste gestern kurzfristig zwei Mittelfeldspieler aus seinem Aufgebot streichen. Bernd Schneider (Oberschenkelverletzung) und Piotr Trochowski (Achillessehnenprobleme) flogen nicht mit nach Zypern, außerdem fehlen Torhüter Jens Lehmann (Grippe) und Lukas Podolski (Sprunggelenksverletzung). Als zweiter Torhüter wurde der Hannoveraner Robert Enke nachnominiert, das Mittelfeld komplettiert der Leverkusener Paul Freier, der im Februar 2005 sein letztes Länderspiel bestritten hat.

Gerade die drei Stammspieler Lehmann, Schneider und Podolski „sind im Moment nicht zu ersetzen“, sagt Kapitän Ballack. Einerseits. Andererseits: „Im derzeitigen Zustand unserer Mannschaft ist es kein Problem.“

Die personelle Not, die Löw zurzeit zu verwalten hat, gehört zum Herbst wie morgendlicher Nebel und Verspätungen bei der Deutschen Bahn. „Oktober und November sind die Monate, in denen es immer schon viele Verletzungen und einige Absagen gab“, sagt Oliver Bierhoff. „Wir müssen sehen, dass die Spieler noch einigermaßen bis zur Winterpause kommen.“ Da könnte man es für eine glückliche Fügung halten, dass der letzte Gegner in diesem „langen und doch intensiven Jahr“ (Bierhoff) nur Zypern heißt. Aber von wegen!

Mit vier Siegen aus vier Spielen bei 24:0-Toren ist das Abschneiden gegen Zypern zwar ähnlich gut wie die bisherige Bilanz der Ära Löw (fünf Spiele, fünf Siege, 23:1 Tore), doch in der Leitung der Nationalmannschaft wird Zypern sogar als spielstärker eingeschätzt als die Slowaken. Der Heimsieg gegen Irland (5:2 vor einem Monat) stütze diese Ansicht. „Wir müssen tierisch aufpassen“, sagt Bierhoff. Die Nationalelf will unter allen Umständen vermeiden, dass die erfreuliche Jahresbilanz bei letzter Gelegenheit noch einen negativen Touch bekommt. „Wir sind nicht der Typ Mannschaft, der einen Gegner wie Zypern unterschätzt“, sagt Michael Ballack. Und nach den jüngsten Erfahrungen gibt es Hoffnungen, dass Zypern nicht der Typ Mannschaft ist, der den Deutschen noch übermäßige Probleme bereitet.

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