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Ästhet in Turnhosen. Lucien Favre hätte auch zu Schalke wechseln können, aber er entschied sich für die Mönchengladbacher, die er früher bewunderte.

© dpa

Lucien Favre und Schalke 04: Fachliche Romanze

Es gab Zeiten, da lockte Schalke 04 neben Gladbacher Spielern auch Lucien Favre – doch der Trainer blieb. Vor dem Spitzenspiel haben sich nun die Vorzeichen geändert.

Es ist noch gar nicht so lange her, da war Schalke 04 sehr an einer Verpflichtung des Fußballlehrers Lucien Favre interessiert. Der Schweizer war nicht so recht zufrieden mit der Entwicklung bei Borussia Mönchengladbach, wo er nach dem Fortgang der Stammspieler Marco Reus, Dante und Roman Neustädter nach der rechten Perspektive suchte und sie nicht zu entdecken vermochte. Und in Gelsenkirchen sehnten sie sich nach der schwierigen Zeit mit Felix Magath und dem sich abzeichnenden Abschied von Huub Stevens nach einer Melange aus Beständigkeit und attraktivem Fußball (soweit das auf Schalke überhaupt möglich ist).

Es ist bekanntlich anders gekommen.

Schalke entschied sich für einen Neuanfang mit dem vormaligen B-Jugendtrainer Jens Keller und wartet immer noch vergeblich auf Beständigkeit und Attraktivität. Und Favre trotzte der Borussia die millionenschwere Investition in die Offensivbegabungen Raffael und Max Kruse ab.

Selten war die Perspektive in Mönchengladbach so verlockend wie in diesen Tagen. Am Samstag nun finden Favre und Schalke doch zusammen, pünktlich zum Spitzenspiel des 15. Spieltages der Bundesliga. Allerdings als Gegner im Mönchengladbacher Borussia-Park. Bei einem Sieg über den Champions-League-Teilnehmer würde sich verfestigen, was zurzeit noch als zarter Trend wahrgenommen wird. Trotz der eindrucksvollen Gladbacher Bilanz von 15 Punkten aus den letzten fünf Bundesligaspielen und sieben Siegen in den sieben Heimspielen dieser Saison. Bei einem Sieg würden sich die Borussia festsetzen auf Platz vier der Tabelle und Platz eins im Wettbewerb hinter den großen Drei, hinter dem FC Bayern, Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund.

Das Spiel gegen Schalke könnte ein Signal sein, wie Lucien Favre es schon einmal erlebt hat. Damals, bei seinem ersten Spiel als Trainer von Borussia Mönchengladbach. Es ist bald drei Jahre her, dass ihn die Anfrage aus Mönchengladbach erreichte. Favre hatte eine spektakuläre Entlassung bei Hertha BSC und 17 Monate Arbeitslosigkeit hinter sich und sein neuer Klub blickte auf eine ähnlich trostlose Vergangenheit zurück. Zwölf Spieltage vor Schluss lag die Borussia als Letzter sieben Punkte hinter dem Relegationsplatz und galt als Abstiegskandidat Nummer eins.

Niemand rechnete ernsthaft mit dem kleinen Wunder, das Favre vollbringen sollte. Es endete vier Monate später mit einer erfolgreichen Relegation gegen den Zweitligadritten VfL Bochum. Und nahm seinen Anfang mit einem 2:1 gegen Schalke, es war der erste Heimsieg in dieser seltsamen Saison.

Als Schalkes Jones Gladbachs Reus auf den gebrochenen Zeh trat

Noch kurz vor der Vertragsunterzeichnung hatte Lucien Favre mit einem Engagement in Wolfsburg spekuliert. Die Wolfsburger aber suchten nur eine Zwischenlösung für ein paar Monate. Favre wollte mehr. Also sagte er in Gladbach zu, trotz der prekären Lage. Es war wohl auch ein bisschen Romantik im Spiel. Die Borussia war zwar Letzter, aber für den Romantiker Favre war sie auch „der Verein von Netzer und Weisweiler“. Er spürte das Adrenalin und sagte zu. Seine Spieler erzählten, sie hätten vom ersten Tag an die Begeisterung des neuen Trainers gespürt.

Es hat noch ein paar weitere Volten gegeben im Verhältnis von Schalke, Gladbach und Lucien Favre. Zehn Monate nach der gelungenen Rückmeldung in der Bundesliga erlebte der Schweizer ein weiteres denkwürdiges Rencontre. Da hatte er aus der schwächelnden Borussia schon einen Champions-League-Kandidaten gemacht. Zum letzten Spiel des Jahres 2011 gastierte Schalke im Achtelfinale des DFB-Pokals im Borussia-Park. Gladbach siegte 3:1, aber in Erinnerung blieben nicht so sehr der furiose Sturmlauf oder die beiden Tore von Marco Reus. Sondern das hinterhältige Foul des Schalkers Jermaine Jones, der seinem Gegenspieler Reus vor einem Freistoß auf den kurz zuvor gebrochenen Zeh trat. Weil eine Kamera aus bester Position einfing, wie Jones um Reus herumschlich und dann den Fuß ausfuhr, wurde er vom DFB-Sportgericht für sechs Spiele gesperrt.

Dem Verhältnis der beiden Klubs war das nicht eben zuträglich. Und Favre ärgerte sich ein paar Wochen später noch mal über die Schalker. Das heißt: Eigentlich ärgerte er sich mehr über seinen eigenen Klub. Favre empfand es als schweren verhandlungstaktischen Fehler, dass es die Borussia versäumt hatte, dem Mittelfeldstrategen Roman Neustädter rechtzeitig ein angemessenes Angebot für die Verlängerung des auslaufenden Vertrages zu machen. Stattdessen akzeptierte Neustädter eine Anfrage aus Schalke.

Es war ein Wechsel mit Sogwirkung und der Anfang vom Ende der Mannschaft, die Favre so gern weiter entwickelt hätte. Kurz darauf unterschrieb Neustädters Kumpel Reus einen Vertrag in seiner Heimatstadt Dortmund und Abwehrchef Dante ging zum FC Bayern. Lucien Favre musste wieder von vorn anfangen, aber dieses Projekt fiel ihm schwer. Ohne Reus, Neustädter und Dante fehlte es der neuen Borussia an Esprit und Kreativität. Gern hätte Favre diesen Makel in der Winterpause der vergangenen Saison durch eine Verpflichtung seines Lieblingsspielers Raffael gelindert, aber der ging lieber zu … Schalke 04! Der Brasilianer war es denn auch, der beim Gastspiel in Mönchengladbach als Vorlagengeber fungierte zum 1:0-Siegtor, mit dem die Borussia ihre letzte Chance auf eine Teilnahme im internationalen Geschäft verspielte.

Heute sehen sie sich wieder, aber die Perspektiven haben sich verschoben. Gladbach steht vier Punkte vor dem Tabellenfünften Schalke und würde auch im Falle einer Niederlage auf Platz vier bleiben. Und Raffael stürmt mit großem Erfolg für die Borussia, gerade erst hat er das Tor zum 1:0-Sieg über den SC Freiburg geschossen. Vielleicht würde er immer noch das Schalker Trikot tragen, hätte nicht Lucien Favre so intensiv um ihn geworben. „Er ist im positiven Sinne des Wortes ein Perfektionist“, sagt Raffael. „Seine Mannschaften sind immer hervorragend eingestellt, und jeder Spieler weiß genau, was er zu tun hat. Ich habe für Schalke in der vergangenen Saison 16 Spiele gemacht, und das schwerste war gegen Mönchengladbach.“

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