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Sport: Luis Figo überall: Mal links, mal rechts

Für die jungen Mädchen heißt es Abschied zu nehmen. Kein öffentliches Training der portugiesischen Nationalmannschaft haben sie in dem kleinen holländischen Ort Ermelo ausgelassen, seit hier Portugal logiert.

Für die jungen Mädchen heißt es Abschied zu nehmen. Kein öffentliches Training der portugiesischen Nationalmannschaft haben sie in dem kleinen holländischen Ort Ermelo ausgelassen, seit hier Portugal logiert. Fasziniert haben sie den Nuno Gomes, Paulo Sousa, Jorge Costa und Luis Figo beim Üben zugeschaut. Dabei wurde viel gekichert, weil es in den Gesprächen weniger um die fußballerischen Fähigkeiten der Herren ging, als darum, wer denn nun der Netteste oder der Hübscheste sei. Die Auswahl ist groß. Etwa dieser Nuno Gomes mit seinen langen Haaren, der zwar schon 23 Jahre alt ist, aber noch wie ein 18-Jähriger wirkt? Oder Torwart Vitor Baia, an dessen freches Grinsen manche immer vor dem Einschlafen denken muss? Oder vielleicht doch Luis Figo, der mit dem markanten Hollywood-Gesicht, der so würdevoll schreitet? Ihn kann man sich in Farbe auf Großleinwand gut als Rächer der Entrechteten vorstellen, der nebenbei noch das Herz einer geknechteten Prinzessin bricht.

Zum letzten Mal trainieren die Portugiesen in Ermelo, bevor sie nach Brüssel umziehen, wo sie heute im Halbfinale auf Weltmeister Frankreich treffen. Aber es sind nicht nur Zuschauer gekommen, die gerade der Pubertät entwachsen sind, sondern auch vermeintliche Fachleute: Einwohner aus Ermelo, Touristen, die einen kleinen Abstecher machen, und natürlich Journalisten. Nach welchem Kriterium sie auch immer urteilen mögen, ihr Interesse gilt vor allem Luis Figo, dem großen Star der Portugiesen. Jeder Schritt, jeder kurze Antritt, jedes Dribbling, jeder Schuss aufs Tor des 27-Jährigen wird genau beobachtet.

Spricht man von Portugal, fällt sofort der Name Luis Figo. Und Portugal ist momentan sehr oft Gesprächsthema. Es ist die faszinierende Art, wie die Portugiesen Fußball spielen, die Leichtigkeit, mit der sie sich Torchancen herausspielen und dann ihre offensichtlich neu erworbene Fähigkeit. Nämlich nicht nur schön, sondern endlich auch erfolgreich zu spielen. Hinreißend gespielt, das Publikum bestens unterhalten, aber verloren - damit musste die Mannschaft, die schon seit Jahren zusammenspielt, lange Zeit leben. Viele der aktuellen Nationalspieler standen 1989 und 1991 noch gemeinsam in der Junioren-Auswahl, die zwei Mal Weltmeister wurde. "Kunst ohne Tore bringt keinen Ruhm", schrieb einmal die portugiesische Zeitung "A Bola" über diese "goldene Generation" und brachte damit die Misere in der Vergangenheit auf den Punkt. "Wir sind jetzt endlich so weit, dass wir auf Ergebnis spielen können", erklärt Abwehrspieler Abel Xavier nicht ohne Stolz.

Der Umschwung hat auch viel mit einem Satz des Luis Figo zu tun, den er zuerst einmal auf sich bezieht. "Große Spieler sind die, die ihre Kameraden glänzen lassen." So wie er zum Beispiel den Kameraden Nuno Gomes, dessen beide Treffer beim 2:0 gegen die Türkei im Viertelfinale Figo selbstlos vorbereitet hatte. Die Portugiesen haben gelernt, dass ein Spiel auch sehr gut sein kann, wenn man selbst vielleicht einmal nicht einen Hattrick erzielt hat oder mit einem Fallrückzieher in den Winkel erfolgreich war, aber das Team am Ende als Sieger vom Platz geht. Auch sind die Zeiten der brotlosen Künstler vorbei, die verspottet wurden, weil bei allem Zauber das Tor für sie ein unbekanntes Rechteck blieb.

Das Ergebnis eines teilweise schmerzlichen Lernprozesses ist jetzt bei der EM zu bestaunen: Portugal hat inzwischen auch den Erfolg fest im Auge, ohne an Glanz verloren zu haben. Und für den ganz besonderen Glanz sorgt Luis Felipe Madeira Figo, wie der große Star mit vollem Namen heißt. Über links, über rechts, als Regisseur im Mittelfeld, als nachstoßender Stürmer, er ist momentan der wohl kompletteste Spieler der Welt. Er spielt grandios, fleißig und uneigennützig. Seine Aufgabe umreißt er so: "Wenn wir den Ball erobern, muss ich frei sein. Irgendwo auf dem Spielfeld." Und dann geht die Post ab. "Ich will der Welt bei der EM zeigen, was ich kann", erklärt Figo. Sein Trainer Humberto Coelho ("Physisch und mental sind wir für den EM-Titel bereit") ist der Meinung: "Er braucht die EM eigentlich gar nicht, um etwas zu beweisen. Er ist sowieso der Beste."

In einem Arbeiterviertel jenseits des Tejo, auf der Südseite Lissabons, aufgewachsen, hat Figo am Beispiel seiner Eltern gelernt, was harte Arbeit bedeutet. Wohl deshalb ist er auch heute noch, als Multimillionär beim FC Barcelona, nicht abgedreht wie so viele seiner Kollegen, sondern gilt als Familienmensch (seine Frau ist ein ehemaliges Model aus Schweden, gemeinsam haben sie einen Sohn) ohne Allüren und Skandale. "Immer verbessern" müsse er sich, aber: "Momentan bin ich mit mir sehr zufrieden." Und er ist sehr begehrt. Gerade buhlt Lazio Rom um Luis Figo, der aber eigentlich noch bis 2003 bei den Katalanen unter Vertrag steht. Von einer Ablösesumme im Bereich von 125 Millionen Mark ist die Rede.

"Ich muss mich glücklich fühlen, um gut spielen zu können", sagt Figo. Also muss es dem 27-Jährigen im Augenblick ganz hervorragend gehen. Und er formuliert seinen "sehnlichsten" Wunsch: "Ich will ins Finale." Die sehnlichsten Wünsche der traurig zurückgelassenen Teenager von Ermelo dürften sich damit kaum decken.

Sebastian Arlt

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