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Lukas Podolski, 27, hat 100 Länderspiele für Deutschland absolviert und 44 Tore erzielt. Bei der EM spielte er in den Gruppenspielen, im Viertelfinale saß er auf der Bank.

© AFP

Lukas Podolski im Interview: „Wir sind jetzt besser als Italien“

Nationalspieler Lukas Podolski spricht im Interview über das Spiel gegen Italien in seinem Herkunftsland, Erinnerungen an das WM-Halbfinale 2006 und über das ungewohnte Gefühl, auf der Bank zu sitzen.

Herr Podolski, Miroslav Klose hat erzählt, dass er noch nie in Warschau gewesen ist. Waren Sie schon mal da?

Zwei oder drei Mal, zuletzt vor acht Monaten. Sehr schöne Stadt, überragendes Stadion. Da könnte eigentlich auch das Finale ausgetragen werden.

Stattdessen spielen Sie dort im Halbfinale gegen Italien. Ist das für Sie als gebürtigen Polen der emotionale Höhepunkt der EM?

Ich will den Pokal gewinnen. Das wäre der emotionale Höhepunkt. Aber Sie haben recht: Dass ich es in meiner Karriere erleben darf, in meinen beiden Ländern jeweils ein großes Turnier zu spielen, das ist etwas ganz Besonderes. 2006 in Deutschland und jetzt die EM 2012 in Danzig und Warschau.

Bei der WM 2006 haben Sie das Halbfinale 0:2 gegen Italien verloren. Erinnern Sie sich noch an den Moment, als Fabio Grosso das vorentscheidende 1:0 erzielt hat?

Halbfinale in Deutschland, man steht auf dem Platz, ist mittendrin – und dann siehst du den Ball im Tor einschlagen. Das war ein Moment der Leere. Mit dem Tor war der Traum vorbei. Wir waren eigentlich gut dabei, hatten in den 90 Minuten auch ein paar Möglichkeiten, in der ersten Hälfte sogar eine sehr gute durch Bernd Schneider. Aber in der Verlängerung hat uns ein bisschen die Kraft gefehlt. Da waren die Italiener besser.

Michael Ballack war nach dem Abpfiff den Tränen nahe. Wie ist es Ihnen ergangen?
Ich bin ja eher einer, der die Tränen nicht so zeigt. Und ich war damals auch noch ein bisschen jünger. Trotzdem ist das ein Moment, wo du auf dem Platz stehst und denkst: Jetzt ist es vorbei. Aber was soll man machen?

Spielt die Niederlage von 2006 heute noch eine Rolle?

Nein, weil wir eine ganz andere Mannschaft sind, ein ganz anderes System spielen und eine ganz andere Philosophie haben.

Auch die besseren Chancen?

Das denke ich schon. Wir haben eine bessere Qualität im Kader, spielen einen besseren Fußball und haben dadurch auch bessere Chancen. Aber es ist ein Halbfinale. Die Italiener werden uns nichts schenken.

Wie hat sich die italienische Mannschaft seit 2006 verändert?
Nach den ganzen Unruhen vor dem Turnier durch den Wettskandal habe ich nicht damit gerechnet, dass die Italiener so weit kommen. Aber sie haben sich überzeugend durchgespielt. Auch im Viertelfinale gegen England. Da waren sie die klar bessere Mannschaft.

Was haben Sie im Elfmeterschießen gedacht, als Andrea Pirlo den Ball ins englische Tor gelupft hat?
Da musst du erst mal Eier haben, um den so zu schießen. Sensationell. Die Italiener liegen zurück, er muss treffen. Wenn’s schiefgeht, muss er sich einiges anhören – aber so redet die ganze Welt über diesen Elfmeter.
Könnten Sie sich vorstellen, im Halbfinale auch so einen Elfmeter zu schießen?

Eher nicht. Ich möchte nicht wissen, was in Deutschland passiert, wenn man den versemmelt.

Das Halbfinale gegen Italien ist das letzte EM-Spiel in Polen. Haben Sie Sorgen, dass Sie wie schon im Viertelfinale gegen Griechenland wieder nur auf der Bank sitzen?
Sorgen habe ich nicht. Natürlich war ich enttäuscht. Wir spielen zum ersten Mal bei der EM in Polen, meine Familie ist da – und ich darf nicht mitwirken. Aber ich bin überzeugt, dass ich gegen Italien auf dem Platz stehen werde.

Was macht Sie so sicher?
Sicher kann man sich nie sein, aber ich habe einfach das Gefühl. Ich hatte auch ein gutes Gespräch mit dem Bundestrainer. Er hat mir vor der Mannschaftssitzung mitgeteilt, dass ich gegen Griechenland nicht spiele.
Wie hat er seine Entscheidung begründet?
Er wollte vorne einfach was Neues ausprobieren. Das ist ja sein gutes Recht. Er muss auch nicht jedem Spieler immer erklären, wieso und weshalb. Er kann die Mannschaft, das Training, das System so steuern, wie er es für richtig hält.

Würden Sie sagen, dass Sie ein besonderes Verhältnis zum Bundestrainer haben?
Ich kenne ihn ja jetzt seit acht Jahren. Da entsteht ein engeres Verhältnis, als ich es bei meinen Vereinen erlebt habe, egal ob in Köln, bei den Bayern oder jetzt wieder in Köln. Da hat quasi jedes halbe Jahr das Führungspersonal gewechselt. Da kann sich nichts entwickeln, wenn du ständig einen neuen Trainer bekommst, wenn plötzlich der Manager weg oder der Vorstand nicht mehr da ist. Dann fehlt dir einfach die Bezugsperson. Die braucht man, wenn man Ruhe im Verein haben und erfolgreich sein möchte. Hier macht der Bundestrainer über Jahre sensationelle Arbeit. Er hat eine neue Philosophie entwickelt, ein neues System. Das ist gut. Wenn die Nationalmannschaft ein Verein wäre, wäre es der optimale Verein.

Bisher hatten Sie in der Nationalelf immer einen Stammplatz. Jetzt müssen Sie erstmals zittern. Wie gehen Sie damit um?
Es ist ja nicht so, dass ich jetzt keinen Stammplatz mehr habe. Ich habe so viel erlebt, so viele Spiele bestritten, so viele Turniere mitgemacht. Das kann mir keiner mehr nehmen. Dass ich jetzt einmal auf der Bank gesessen habe, ist kein Beinbruch. Es gibt noch so viele Jahre, die vor mir liegen, so viele Spiele. Das ist für mich überhaupt kein Problem. Ich nehme das sportlich. Und wenn ich demnächst mal wieder auf der Bank sitze, muss ich damit leben.

Vielleicht wollte der Bundestrainer Sie auch bewusst ein bisschen kitzeln, um noch mehr aus Ihnen herauszuholen?

Das glaube ich nicht, sonst müsste man ja in jedem Spiel die Aufstellung ändern.

Wie gehen Sie mit dem Druck um, den die vielen jungen Spieler ausüben?
Ich war ja auch mal jung und habe darum gekämpft, in die Mannschaft zu kommen: Ich habe gut trainiert, gut gespielt. Dasselbe tun die Jungs auch. Man muss doch froh sein, dass jetzt wieder eine neue Generation kommt. Bei den Spaniern oder Italienern, da kommt ja nichts. Die haben keine 18-, 19- oder 20-Jährigen auf der Bank sitzen oder sogar in der Startformation stehen wie bei uns gegen Griechenland. Das ist doch gut.

Es ist einfach, den Konkurrenzkampf als leistungsfördernd zu beschreiben, wenn man selber spielt. Wie schwer fällt es, wenn man erstmals negativ davon betroffen ist?

Das ist für mich nichts Negatives. Natürlich will man als Fußballer immer spielen und der Mannschaft helfen. Aber das kann man auch von außen.

Was Lukas Podolski davon hält, stärker in die Defensive eingebunden zu sein.

Welche Gefühle hat es in Ihnen ausgelöst, dass Sie gegen Griechenland nicht spielen durften: Trotz, Wut, Enttäuschung?
Mit Wut oder Frust an die Sache ranzugehen, wäre der größte Fehler, den man machen könnte. Man muss genauso positiv weitermachen wie bisher.
Und wenn Sie in Warschau nicht spielen?
Ich gehe davon aus, dass ich spielen und der Mannschaft helfen werde. Defensiv oder offensiv. Oder beides.
Ärgert es Sie, dass Sie bei diesem Turnier so stark in die Defensive eingebunden sind?
Wir müssen uns doch auch auf unsere Gegner einstellen. Portugal kommt mit Nani, Moutinho und Ronaldo. Das sind Offensivspieler mit Weltklasseformat. Da war es meine Aufgabe, die Defensive zu stärken, und diese Aufgabe habe ich erfüllt. Ich verstehe gar nicht, warum das immer so dramatisiert wird.
Aber Sie sind eher …
… ein offensiver Typ, klar. In Köln habe ich die letzten drei Jahre zentral offensiv gespielt. Da spiele ich am liebsten, da liegen auch meine Stärken, und die sind eindeutig besser als die in der Defensive. Das ist doch gar keine Frage. Aber wenn es der Mannschaft hilft, muss man seine eigene Stärke leider auch einmal zurückstellen.

Joachim Löw hat Sie einmal als gefühligen Menschen bezeichnet. Können Sie uns erklären, was er damit meint?
Das hätten Sie ihn fragen müssen. Ich weiß ja nicht, in welchem Zusammenhang er das gesagt hat.

Vielleicht meint er, dass Sie für äußere Reize besonders empfänglich sind, Vertrauen brauchen, eine vertraute Atmosphäre.
Jeder Spieler braucht Vertrauen und ein vertrautes Umfeld. Wenn man irgendwohin wechselt und nicht weiß, was man vorfindet und mit wem man es zu tun hat, stelle ich mir das schwierig vor. Es gibt natürlich auch Fußballer, die sagen: Mir ist alles egal, Hauptsache, ich habe einen guten Vertrag. Aber so ein Mensch bin ich nicht. Ich muss von der Sache überzeugt sein. So, wie ich es in Köln war und wie es demnächst in London sein wird.
Haben Sie sich schon mal angeschaut, wo Sie künftig leben und arbeiten werden?
Das nicht, aber ich hatte gute Gespräche mit dem Trainer und anderen Leuten aus dem Klub. Arsenal ist ein sauber geführter Verein, toller Trainer, tolle Mannschaft, die einen tollen Fußball spielt. Das alles hat mich überzeugt.
Was versprechen Sie sich von dem Wechsel? Welchen Entwicklungsschritt wollen Sie bei Arsenal machen?
Ich habe mich, selbst wenn das ein bisschen blöd klingt, auch in Köln in den drei Jahren gesteigert. Aber London ist noch mal was anderes. Man trainiert Tag für Tag mit sehr guten Spielern zusammen, das ist eine geile Liga. Man wird immer gefordert, man spielt viele Spiele – darauf freue ich mich einfach. Seit dem ersten Kontakt empfinde ich Vorfreude. Ich kann kaum erwarten, dass es losgeht.

Hat es eine Rolle gespielt, dass Per Mertesacker bei Arsenal spielt?
Ich habe meine Entscheidung nicht von Per abhängig gemacht. Natürlich ist es ein Vorteil, dass er da ist, genauso wie die beiden polnischen Torhüter. Das macht es für mich ein bisschen leichter.
Köln, London – und dann Zabrze: Gilt Ihr Versprechen noch, dass Sie Ihre Karriere bei Gornik Zabrze beenden?
Ein Versprechen war das nicht. Aber es ist denkbar. Gornik Zabrze ist mein Verein. Als Kind in Polen habe ich da immer auf dem Sportplatz gespielt. Sie bauen jetzt ein neues Stadion für 30 000 Zuschauer, und ein guter Freund von mir ist da Manager.
Besitzen Sie eigentlich noch die polnische Staatsangehörigkeit?
Ich habe nur den deutschen Pass.
Es war mal zu lesen, dass Sie zwar nur einen Pass haben, aber beide Staatsangehörigkeiten besitzen.
Ja? So genau weiß ich das gar nicht. Muss ich mal meine Eltern fragen.
Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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