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Malik Fathi

© Tino Künzel

Malik Fathi: Fuß fassen auf Kunstrasen

Malik Fathi hat seinen Wechsel nach Moskau nicht bereut – auch wenn sportlich noch nicht alles stimmt. Ein Besuch

Malik Fathis Arbeitstage sind lang. Sein Arbeitgeber Spartak Moskau hat die Anwesenheitspflicht seiner Fußballprofis auf dem Klubgelände außerhalb der Stadt so geregelt, dass die Spieler erst abends wieder nach Hause kommen. Der Moskauer Verkehr streckt die Arbeitstage dann noch weiter. Im Vergleich zu Berlin sei der berufliche „Zeitaufwand viel größer“, sagt Fathi. Deshalb, ja, natürlich erzählt er gern von sich, von Moskau und vom russischen Fußball, aber beschränkt auf die Dauer eines Abendessens. Um die Ecke von seiner Wohnung steht eine jener neumodischen Shopping Malls, die überall im Eiltempo aus dem Boden wachsen, als könne es morgen schon zu spät sein. Dort sitzt Fathi hin und wieder im „Goodman“, einem Steakrestaurant, in dem die Bedienung Englisch spricht, falls die englischsprachige Karte noch Fragen offen lässt. Es gibt australisches Fleisch und manchmal auch eine Portion Lokalkolorit. Als Fathi und seine Freundin Annie für ein Foto vor dem Restaurant innehalten, tritt unauffällig ein Wachmann des Einkaufszentrums hinzu und zischt: „Lassen Sie das bloß keinen sehen! Bei uns ist Fotografieren untersagt.“

Es ist das alte, das hausmeisterliche, misstrauische Russland, das sich hin und wieder vor die polierte Oberfläche drängelt. Aber Spartak versucht, seinen ausländischen Spielern zu helfen, wo es nur geht. Den Legionären wird ein Fahrer zur Seite gestellt, der sie über die achtspurigen Ausfallstraßen lotst, und eine Mitarbeiterin der „internationalen Abteilung“. Die verhandelt notfalls am Telefon mit der Verkehrspolizei, falls sich der Ausländer doch einmal selbst ans Steuer gesetzt hat. Sie unterbreitet auch diverse Wohnungsangebote. Malik Fathi ist im Wohnkomplex „Rote Segel“ untergebracht, einer der exklusivsten Adressen in der Stadt im Moskauer Westen, den die findigen Immobilienmakler fast schon zum Luftkurort erklärt haben, um saftige Aufschläge kassieren zu können. Aus dem Fenster fällt der Blick auf die Moskwa und das Grün drumherum, aber auch auf ein massives Plattenbau.viertel am anderen Ufer. Von dort rumpeln klapprige Tatra-Straßenbahnen über die Brücke zur nahen Metrostation. Die Hochhaustürme der „Roten Segel“ sind eine Insel der Ruhe, umbrandet von Lärm und Gedränge. „Wie voll es in dieser Stadt ist – unglaublich“, hat auch Fathi festgestellt.

Zu seinen Nachbarn in der Wohnanlage gehören Mitspieler wie der kroatische Nationaltorhüter Stipe Pletikosa, der brasilianische Stürmer Welliton und der argentinische Mittelfeldspieler Cristian Maidana. Fathi ist der einstweilen letzte Ausländer, den Spartak verpflichtet hat, trotzdem ist es ihm bereits gelungen, die Russen zu beeindrucken – wenn auch .weniger fußballerisch. Nach Niederlagen duckt sich der Berliner nicht weg oder verschwindet durch den Hinterausgang wie mitunter die halbe Mannschaft, sondern lässt sich in der Mixed Zone auf Englisch befragen. Und dann verblüfft er die Journalisten immer wieder mit ein paar Brocken Russisch. „Ich kann mich an keinen Legionär erinnern, der so schnell die Sprache gelernt hätte“, sagt Anton Lissin von der Sporttageszeitung „Sowjetski Sport“. Fathi winkt ab, sein Russisch sei nicht der Rede wert. „Hallo“, „Tschüs“, „Danke“, „Bitte“, spassibo, poschaluista. Aus dem Urlaub hat er einmal den Knüllersatz mitgebracht: „Du hast schöne Augen.“ Zu viel mehr reiche es noch nicht. Vor dem Hintergrund zahlreicher Südamerikaner in der russischen „Premier-Liga“, die auch nach Jahren wenig Anstalten machen, sich auf ihr Gastland einzulassen, ist das scheinbar eine ganze Menge und Fathi ein Muster an Integrationsbereitschaft.

Dass er Hertha BSC verlassen hat, bereut Fathi keine Sekunde. „Das war keine Spinnerei damals“, bekräftigt der 24-Jährige seine Entscheidung vom März, als er für vier Millionen Euro von Hertha BSC nach Moskau wechselte, wenige Tage vor dem Saisonstart in Russland. „Ich wollte wirklich mal raus aus Berlin, eine andere kulturelle Erfahrung machen, eine neue Sprache lernen, aber dabei auch auf internationalem Niveau Fußball spielen. Das hatte ich schon länger im Kopf, und plötzlich war die Tür offen. Wie Spartak ausgerechnet auf ihn gekommen sei, das frage er sich bis heute.

Fathi ist eine neue Qualität für die „Premier-Liga“, mit deren ausländischen Neuzugängen üblicherweise irgendetwas nicht stimmt. Entweder sind das große Namen am Ausklang ihrer Karriere wie Savo Milosevic (Rubin Kasan) oder Jan Koller (Krylia Sowetow Samara), südamerikanische Talente, die Russland als Sprungbrett nach Westeuropa benutzen wie jüngst der Brasilianer Jo, den ZSKA Moskau für 25,8 Millionen Euro an Manchester City verkaufte, oder aber Spieler aus osteuropäischen Ligen, die es dann in Einzelfällen ebenfalls zu Topklubs schaffen wie der Serbe Nemanja Vidic (von Spartak Moskau zu Manchester United) oder der Slowake Martin Skrtel (von Zenit St. Petersburg zum FC Liverpool). Dass sich ein junger Westeuropäer aus einer der Eliteligen Europas für Russland entscheidet, obwohl ihn sein Verein halten will, hatte es vor Fathi noch nicht gegeben.

Ihm gefällt es in Moskau. Dabei steht der russische Fußball in dem Ruf, dass seine dicken Gehälter zum Teil auch Schmerzensgeld sind für alle erdenklichen Widrigkeiten. Für miese Kunstrasenplätze in veralteten Stadien mit einem Zuschauerschnitt, der selbst bei Spartak, dem landesweit populärsten Klub, nur bei rund 20.000 liegt. Für extreme Auswärtsreisen bis nach Wladiwostok. Für endlose Trainingslager in mehr als drei Monaten Winterpause. Und für eine Lebensqualität, die aus der Ferne gern unter der Grasnarbe angesiedelt wird. Selbst mit Moskau lasse sich zu Hause diesbezüglich „wenig Staat machen“, weiß Fathi. Das alles schreckt Fathi nicht: „Hier wird schnell und offensiv gespielt, mit viel Risiko.“ Der Uefa-Cup-Sieg von St. Petersburg und Russlands gute EM haben Fathi, wie er findet, recht gegeben. „Auf einmal sagen auch Freunde von mir, dass es ja vielleicht doch eine gute Entscheidung war, nach Russland zu gehen.“ Und er sei damit sicher nicht der letzte. „Hier ist Geld da, hier werden im Moment Superstadien gebaut, Russland klettert mit jedem Jahr im internationalen Ranking höher.“ Zuletzt weigerte sich Zenit St. Petersburg, seinen Stürmerstar Andrej Arschawin für 15 Millionen Euro zum FC Barcelona ziehen zu lassen, und das abgesehen vom Finanziellen auch deshalb, weil die Katalanen kein Hehl daraus machten, dass sie den EM-Überflieger als Ergänzungsspieler holen wollten. Das passe nicht zu den Bemühungen, das Image des russischen Fußballs aufzuwerten, entschied man bei Zenit. Und revanchierte sich trotzig mit einer Offerte für Barcelonas Lionel Messi.

Auch bei Spartak hat sich gerade ein Imageproblem mit neuer Wucht zurückgemeldet. Zuletzt dreimal in Folge Zweiter, ist der Klub dabei, seine Meisterschaftsambitionen auch in dieser Saison zu verspielen. Bei Spartak läuft noch nicht alles rund in dieser Saison. Die letzten drei Spiele konnte Fathis Team nicht gewinnen, auf ein 1:3 bei Aufsteiger Terek Grosny folgte ein 1:5 gegen ZSKA im emotionalsten .russischen Derby. Und was für die Fans noch viel schlimmer ist: Auch Trainer Stanislaw Tschertschessow, ein Idol früherer Zeiten, hat den Kombinationsfußball, mit dem Spartak von 1992 bis 2001 neunmal Meister wurde, nicht wiederbeleben können. Am vergangenen Sonnabend rettete sich Spartak nach einem 0:2-Rückstand gegen den Lokalrivalen Lokomotive noch zu einem 2:2, momentan ist der russische Rekordmeister nur Vierter in der Liga. Jetzt ist die Schonfrist für Fathi vorbei, der in bisher acht Saisoneinsätzen durchwachsene Leistungen abgeliefert hat. Zwar mussten drei andere Spieler zur Strafe in die zweite Mannschaft, doch erstmals wurde auch der Deutsche in der Presse in Frage gestellt. Wie die gesamte Defensivabteilung sei er schwach im Spiel nach vorn – und nun auch noch anfällig nach hinten. Aber er will sich durchbeißen. Fathi hat sein Engagement ohnehin langfristig ausgelegt, wie er sagt: „Ich habe einen Vierjahresvertrag und will in Russland Fuß fassen. Ich denke nicht daran, hier schnell wieder zu verschwinden."

Tino Künzel[Moskau]

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