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Sport: Man spielt altdeutsch

Trainer Dunga hat Brasilien zur Effizienz erzogen. Doch auch wenn er den Titel holt, wird man ihn nicht so lieben wie die, die grandios scheiterten

Zico, Socrates, Falcão, Cerezo. Namen, die die Brasilianer noch heute zu einem emotionalen Spagat zwingen: Sollen sie weinen oder lachen? Die „Fantastischen Vier“ gelten als das beste Mittelfeld, das dieses an Superfußballern ohnehin reiche Land jemals hatte. Doch zugleich sind sie ein Symbol für das Scheitern des Schönen.

Das Aus bei der WM 1982 gegen den späteren Titelträger Italien hätte noch als unnötige Hänselei des Schicksals durchgehen können. Doch 1986 schieden Zico und seine Freunde erneut aus, im Elfmeterschießen eines rauschhaften Viertelfinals gegen Frankreich.

„Das war schlecht für den Weltfußball, weil er sich in die falsche Richtung entwickelt hat“, klagte Zico. Betrübt sah er die Ära der Vorstopper anbrechen. Tatsächlich: Wäre es sonst denkbar gewesen, dass ein Brasilianer, der aufs Toreverhindern spezialisiert ist, Südamerikas Fußballer des Jahres wird? Diese Ehre wurde dem Verteidiger Cafu 1994 zuteil, in jenem Jahr also, da die Selecao dann wirklich Weltmeister wurde. Doch eben nicht mit dem Sambafußball ihrer Vorgänger, sondern mit einem europäisch geprägten Pragmatismus. Nicht mit Zico und Socrates, sondern mit jenem Cafu – und Carlos Dunga.

Für den damaligen Kapitän und heutigen Nationaltrainer muss dieser Titel eine Genugtuung sondergleichen gewesen sein. Er, der belächelte Mittelfeldarbeiter, hatte damit dasselbe erreicht wie Pelé, der König das Fußballs. Wenn auch mit anderen Mitteln. Dunga, seinerzeit Staubsauger beim VfB Stuttgart, sah sich nie der Ästhetik verpflichtet, sondern dem Resultat. „O alemão“ nennen sie ihn – „der Deutsche“.

Und wie die Deutschen könnten die Brasilianer unter seiner Leitung zu einer eiskalten Turniermannschaft werden. Nach ihrem dekadenten Auftreten bei der WM 2006 übernahm Dunga das Amt von Carlos Alberto Parreira und machte aus einer Ansammlung von Individualisten ein funktionierendes Kollektiv – das 2007 die Copa America und 2009 den Confed-Cup gewann. Die brasilianischen Fans sahen diese Mannschaft siegen, aber war es wirklich noch ihre? Wo war der „Futbol Arte“, der Fußball als Kunst?

Für Dunga ist Fußball Handwerk. Auch in Südafrika verzichtet er auf Budenzauber, den Illusionisten Ronaldinho hat er demonstrativ zu Hause gelassen. Er setzt im Mittelfeld auf Kaka, der beim AC Milan von der Pike auf lernte, wie man selbst als Regisseur ein 1:0 verwaltet. Lucio und Juan, beide durch das Stahlbad Bundesliga gegangen und nun ebenfalls im Land des Catenaccio aktiv, bilden die Defensive. Davor setzt Gilberto Silva, ein Mann wie ein Kaltblutpferd, das Erbe Dungas fort. Und auch im Sturm findet sich eine Reminiszenz an 1994: So wie damals Bebeto und Romario eine Mannschaft in der Mannschaft bildeten, ziehen heute Robinho und Luis Fabiano ein fast autarkes Offensivspiel auf.

Dunga hat sich die Mannschaft, mit der er selbst Weltmeister wurde, in weiten Teilen nachgebaut. Sein alter Gefährte Jorginho dient ihm dabei als Assistent. Mit seinem Konzept der Effizienz wird er nicht in Schönheit sterben wie einst Zico. Doch selbst wenn er siegt, wird man ihn nicht so lieben. Das gehört ohnehin nicht zu den Sehnsüchten des deutschesten Brasilianers aller Zeiten. „Ich bin hier, um zu arbeiten“, knurrt Dunga, „und nicht, um sympathisch zu sein.“

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