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Sport: „Man spürt den Esprit von 1998“

Der frühere Weltmeister Leboeuf über die Steigerung des französischen Teams

Herr Leboeuf, sind Sie überrascht vom neuen Erfolg Ihrer alten Weggefährten?

Nein, eigentlich nicht, es sind ja noch viele Spieler von 1998 dabei. Die sind zwar älter geworden, aber nicht schlechter.

Zu Beginn des Turniers und auch während der Vorrunde hatte niemand mehr so richtig an die Mannschaft geglaubt, auch im eigenen Land gab es nur wenig Zuversicht. Wie erklären Sie sich diese unerwartete Steigerung?

In der Tat stand unser Team schwer in der Kritik. Das Phantom Vorrunden-Aus ging um und die Angst vor einem erneuten Fiasko wie bei der WM 2002 in Japan und Südkorea stieg. Aber der Sieg gegen Togo und die damit verbundene Qualifikation für das Achtelfinale war eine echte Befreiung.

Was genau hat diese Befreiung bewirkt?

Das Team hat gemeinsam eine schwierige Phase überstanden und sich selbst aus dem Sumpf gezogen. So etwas schweißt zusammen. Das Zusammenspiel zwischen der alten und der neuen Generation klappt auf einmal sehr gut. Jetzt ist es ein echtes Team, das für eine unheimliche Begeisterung in Frankreich sorgt. Die Mannschaft hat wieder eine Seele gefunden. Man spürt den Geist und den Esprit von 1998.

Wo liegen denn die Parallelen zum WM-Erfolg vor acht Jahren in Ihrer Heimat?

Es ist der Glaube an den Erfolg, der diese Mannschaft jetzt trägt. Das war bei uns 1998 auch so. Außerdem sind es ja zum Teil immer noch dieselben Spieler wie 1998. Trotzdem kann man die Mannschaften und die Turniere nicht richtig miteinander vergleichen.

Wo liegen die Unterschiede?

Es liegt natürlich daran, dass neue Spieler dabei sind und ein neuer Trainer. Auch das Spiel der Mannschaft hat sich verändert. Sie spielt geduldiger und steht noch gefestigter. Aber auch der Druck ist jetzt viel größer. Wir haben im eigenen Land gespielt und den Titel gewonnen, obwohl viele nicht damit gerechnet hatten. Heute gibt es eine andere Erwartungshaltung. Und zugegebenermaßen war auch der Verlauf des Turniers für uns damals leichter. Wir haben in der K.-o.-Runde 1998 gegen Paraguay, Italien, Kroatien und erst im Finale gegen Brasilien gespielt. In diesem Jahr gibt es für die Franzosen mit Spanien, Brasilien und jetzt Portugal nur hochkarätige Gegner.

Vor der WM 1998 waren Sie auch starker Kritik ausgesetzt, ähnlich wie 2006. Und damals wie heute lassen die Erfolge der Mannschaft die Kritik verstummen. Ist da auch eine Portion Genugtuung im Spiel?

Das glaube ich nicht. Viele wissen ja selbst, dass die Leistungen in der Qualifikation und in der Vorrunde nicht so gut waren. Aber die Spieler haben auf jeden Fall gezeigt, dass sie nicht umsonst in den besten Klubs der europäischen Ligen Führungspositionen innehaben. Man muss aber auch verstehen, warum der Unmut unter den Journalisten aufkam. 2002 wohnten sie noch zusammen mit den Spielern im selben Hotel. Diesmal sind die Spieler völlig abgeschottet, und die Journalisten bekommen nicht viel mit. Klar, dass das nervt, aber ich glaube, die Entscheidung, wie 1998 abgeschottet zu wohnen, war absolut richtig. Außerdem ist die Kritik vergessen. Jetzt sind in Frankreich alle noch patriotischer und näher zusammengerückt, damit es für unser Team weitergeht.

Davor steht noch ein Halbfinale gegen Portugal an. Ist dieses Spiel für Sie auch ein Duell Jung gegen Alt, jugendlicher Ehrgeiz gegen altersweise Erfahrung?

Das sehe ich nicht unbedingt. Figo gehört auch nicht mehr zu den Jüngsten und spielt trotzdem ein sehr gutes Turnier. Es wird ein sehr schweres Spiel, zumal Portugal eine Art zweites Brasilien in diesem Turnier ist und sehr gute Spieler hat. Frankreich wird Berge versetzen müssen, um weiterzukommen. Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass wir es schaffen werden. Frankreich ist nach dem Sieg gegen Brasilien noch gefährlicher geworden und spielt unbeschwert auf. Und es gibt meiner Meinung nach nur noch eine andere Mannschaft, die einen ähnlichen Esprit entwickelt hat in diesem Turnier: Das ist Deutschland. Deshalb hoffe ich wirklich auf ein Finale Deutschland gegen Frankreich.

Das Gespräch führte Christian Tretbar.

Frank Leboeuf, 37, wurde mit der französischen Mannschaft 1998 Weltmeister und 2000 Europameister. 2005 hat der 50-malige Nationalspieler in Katar seine Laufbahn beendet.

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