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Als alles begann. Mario Theissen (l.) und Sebastian Vettel beim Training zum Großen Preis der USA in Indianapolis am 15. Juni 2007. Zwei Tage später bestritt Vettel für BMW Sauber sein erstes Rennen in der Formel 1. Theissen hatte maßgeblichen Anteil, dass Vettel den frei gewordenen Platz in seinem Team erhielt.

© picture-alliance/ dpa

Mario Theissen über Sebastian Vettel: „Wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum“

Mario Theissen, der frühere Motorsportchef von BMW, gilt als Mitentdecker von Sebastian Vettel - und er erinnert sich noch genau an Vettels Anfänge in der Formel 1. Ein Bericht.

Er hat mich am Hemd gezupft und gesagt: „Ich bin der Sebastian und fahre nächstes Jahr bei euch mit.“ Das ist eine meiner ersten Erinnerungen an Sebastian Vettel, er muss damals 13 oder 14 Jahre alt gewesen sein, und wir haben uns bei einem Formel-BMW-Rennen getroffen. Tja, und so ist es dann ja auch gekommen. Er wurde schon in seiner ersten Saison „Rookie des Jahres“, im Folgejahr hat er alles abgeräumt. 18 Siege in 20 Rennen, dazu ein zweiter und ein dritter Platz. Sehr eindrucksvoll. Damals hat man gesehen, wozu er das Zeug hat – nicht nur fahrerisch, sondern auch im Kopf.

Sebastian war damals schon seinen Altersgenossen voraus. Wobei ich das damals noch nicht überbewerten wollte. In diesem jungen Alter gibt es generell große Unterschiede. Wer mit vier oder fünf Jahren anfängt, Kart zu fahren, ist mit 13 oder 14 natürlich ganz anders drauf, als ein Junge, der erst seit ein, zwei Jahren Kart fährt. Deswegen muss man vorsichtig sein. Bei Sebastian war aber nicht nur das fahrerische Potenzial vorhanden, sondern auch die mentale Reife.

Er war für mich immer eine junge Parallele zu Michael Schumacher, der als Erster aufgezeigt hat, dass der Job eines Rennfahrers weit über das Fahren hinausgeht. Sprich: Fahrzeugeinstellung, aber vor allem die Arbeit mit dem Team, sowohl was die fachliche Arbeit mit den Ingenieuren und Mechanikern angeht als auch das Motivieren und Mitziehen der Leute. Das war schon damals in Ansätzen bei Sebastian erkennbar; auch wie systematisch und umfassend er sich vorbereitet hat.

Sebastian Vettel: Er hat sich im Vorfeld Gedanken gemacht, was alles zu beachten ist

Ich habe von ihm handgeschriebene Rennberichte gesehen, auf so eine Idee wäre kein anderer gekommen. Sebastian hat sich im Vorfeld Gedanken gemacht, was alles zu beachten ist. Er hat sich einen Tagesablauf geschmiedet für die Stunden vor dem Rennen, was in dem Alter sonst niemand gemacht hat. In Verbindung mit seinem natürlichen Speed war sofort zu sehen, dass er nach ganz oben kommen könnte.

Ich dachte mir: Er könnte nach ganz vorne kommen. Prognosen sind in diesem Alter sehr schwierig. Die einen Fahrer sind einfach noch nicht so weit, weil sie später angefangen haben, die anderen kommen irgendwann von der Bahn ab, weil sie ihren Fokus verlieren. Bei Sebastian lief es vom ersten Tag an in derselben Richtung weiter. Er hat sich nur dafür interessiert.

Als Meister der Formel BMW durfte er ein Formel-1-Auto testen. Daran erinnere ich mich noch gut. Ich weiß noch, wie Frank Williams skeptisch geschaut hat und meinte, Sebastian sei ja wohl doch ein bisschen schmächtig. Das habe ich Sebastian dann gesagt, und es hat ihn doch etwas getroffen.

Aber insgesamt war er an diesem Tag, als er das Formel-1-Auto testen durfte, wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum. Für ihn war es einfach die unglaubliche Erfahrung, wie weit so ein Formel-1-Auto von dem weg ist, was er bis dahin mit 130 PS kannte. Es war ein Augenöffner, wie ich ihn auch bei anderen erlebt habe, etwa bei Nico Rosberg. Bei diesen Ausfahrten ging es ja nicht darum, das Auto zu testen oder aller Welt etwas zu beweisen, sondern darum, zu kapieren, wie weit der Weg noch ist und wie anders und fantastisch die Formel 1 im Vergleich zu dem, was ich derzeit fahre. Es ist ein riesiger Motivationsschub.

Mario Theissen: 2006 war mir schon klar, dass Sebastian Vettel sich in der Formel 1 durchsetzen wird

2006 hatte er dann die ersten richtigen Testkilometer hinter sich und ist an Freitagen immer im Training mitgefahren. Zuvor war er schon Formel 3 gefahren und in der Formel Renault unterwegs, da war für mich schon klar, dass er sich in der Formel 1 durchsetzen würde. Davon waren noch nicht alle im Team überzeugt, und es waren auch nicht alle von der Idee angetan. Die kritischen Stimmen haben damals angemerkt, dass er ja mit frischen Reifen und weniger Benzin gefahren ist im Vergleich zu den Stammfahrern, aber auch so war seine Leistung einfach top. Also war es für mich keine Überraschung mehr, dass er sehr bald einen Stammplatz in der Formel 1 angeboten bekam.

Auch in alle technischen Bereiche hat er sich sehr schnell eingefunden. Er hat sich sehr intensiv mit dem Team beschäftigt und war bei der Abstimmung immer hellwach. Als Robert Kubica dann einen Unfall hatte, ging es darum, wer an seiner Stelle für unser Team BMW Sauber fahren sollte. Damals war auch Timo Glock BMW-Testfahrer, und die Leute meinten, Timo sei ja schon einmal vorher Formel 1 gefahren, das spreche für ihn.

Am 17. Juni 2007 fuhr Sebastian Vettel sein erstes Formel-1-Rennen

Doch wir haben uns für Sebastian entschieden, so ist er am 17. Juni 2007 in Indianapolis sein erstes Rennen in der Formel 1 gefahren. Und Sebastian hat seine erste Aufgabe ordentlich gelöst. Er hat einen Fehler am Start gemacht und dadurch ein paar Plätze verloren. Am Ende hat er als Achter den letzten Punkt geholt, ansonsten wäre er vielleicht ein paar Plätze weiter vorne ins Ziel gekommen. Aber nach dem misslungenen Start war es ein absolut fehlerfreies Rennen. Er war sicher nervöser, als man ihn sonst gesehen hat. Er wollte natürlich nichts falsch machen und war sich auch der Einmaligkeit dieser Chance bewusst. Es war klar, dass Robert danach wieder im Auto sitzen würde.

Es war eine schmerzhafte Entscheidung, ihn wenig später an Toro Rosso abzugeben. Wir hatten drei Möglichkeiten: Eine war, ihn als Testfahrer im Team festzunageln, was aber angesichts der jahrelangen, gemeinsamen Förderung mit Red Bull völlig verrückt gewesen wäre. Also kam diese Option nicht infrage. Die zweite Variante war, ihn bei uns ins Auto zu setzen – das kam auch nicht infrage. Unser Team war gerade auf dem Weg nach vorne, und wir hatten mit Nick Heidfeld und Robert Kubica zwei Fahrer, die um den Sieg fahren konnten. Einen der beiden durch einen 18-Jährigen zu ersetzen, wäre für das Team und Sebastian sehr gefährlich gewesen. Die dritte Möglichkeit war, ihn schweren Herzens ziehen zu lassen, aber das würde ich heute genauso wieder machen. Für Sebastian war die Entwicklungszeit bei Toro Rosso Gold wert, das kann man heute sicher sagen.

Wenn ich Sebastian heute sehe, merke ich natürlich, wie er sich seitdem verändert hat. In diesem Zirkus und in diesem Spannungsfeld verändert sich jeder, das ist ganz unausweichlich. Ganz davon abgesehen, dass er persönlich reifer wird. In der Formel BMW war er noch ein Kind, und heute ist er ein gestandener Mann und gibt in der Formel 1 den Ton an.

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