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Sport: Markt der unvorhersehbaren Möglichkeiten

Viele Fans fürchten den Einstieg von Finanzinvestoren in den deutschen Fußball – der frühere Bundesliga-Manager Ilja Kaenzig setzt darauf

Public Viewing ist ein gutes Beispiel. Wer hätte denn vor drei Jahren gedacht, dass Hunderttausende auf die Straße gehen, um sich auf einer Leinwand ein Fußballspiel anzuschauen? Und wer hätte gedacht, dass man damit Geld verdienen kann? Vor der WM in Deutschland und der Erfindung der Fanmeile gab es nicht einmal den Begriff. Inzwischen ist Public Viewing ein eigenes Geschäftsfeld, „eine Industrie für sich“, wie Ilja Kaenzig sagt. Vor allem aber ist Public Viewing für den Schweizer ein Symptom für eine Zeit der fast unvorhersehbaren Möglichkeiten. „Man kann nichts mehr ausschließen“, sagt er. „Im Moment passiert im Fußball mehr als in den letzten 20 Jahren zusammen.“ Da ist es schwierig, überhaupt noch mitzukommen. Es sei denn, man läuft ein bisschen früher los. So wie Ilja Kaenzig.

Kaenzig war immer ein bisschen früher dran. Mit 24 leitete er die Nachwuchsabteilung von Bayer Leverkusen, mit 25 machte ihn sein Mentor Reiner Calmund zum Koordinator Gesamtfußball, und mit 30 wechselte er als Manager zu Hannover 96. Jetzt ist Ilja Kaenzig 34 – und seine Karriere im Profifußball schon wieder beendet. Aber dem Fach ist er treu geblieben. Die Firma, die er zusammen mit drei Partnern betreibt, heißt Boutique Football. Sie stellt Kontakte her: zwischen Investoren, die Geld haben, und Fußballvereinen, die Geld brauchen. Und sie ist die erste, die solche Dienste anbietet.

Die Lounge eines noblen Hotels in Zürich. Kaenzig hat einen Tisch reserviert. Er erzählt, dass die Lounge bei Geschäftsleuten sehr beliebt sei. So beliebt, dass das Hotel inzwischen eigentlich keine Reservierungen mehr annehme. Kaenzig, der Betriebswirtschaftslehre studiert hat, kennt die Welt des Geldes genauso wie die Welt des Fußballs. Und er glaubt, dass er alle Zeichen richtig deutet. Kaenzig ist überzeugt, „dass dieser Markt ganz neue Opportunitäten bringen wird“. Und das schon sehr bald.

Für viele Fans hört sich das wie eine Drohung an. Sie fürchten, dass ausländische Investoren ihre Klubs übernehmen und der Fußball seine Identität verliert. Dass sie – der besseren Vermarktung wegen – Wappen und Vereinsfarben ändern und noch das letzte Geld aus den Klubs pressen, um ihre Renditeziele zu erreichen. Als der Amerikaner Malcolm Glazer für umgerechnet 1,2 Milliarden Euro den englischen Traditionsklub Manchester United aufkaufte, sagte sich ein Teil der Anhänger von ManU los und gründete den FC United of Manchester. Der spielt jetzt, nach zwei Aufstiegen hintereinander, in der achthöchsten Liga. „Es ist schwer, gegen die Globalisierung anzukämpfen“, sagt Kaenzig.

Der deutsche Fußball kämpft diesen Kampf noch. Die Satzungen des Ligaverbandes DFL und des Deutschen Fußball- Bundes schreiben vor, dass die Anteile an einer als Kapitalgesellschaft ausgegliederten Profiabteilung zu mehr als der Hälfte bei den Klubs verbleiben müssen. Mögliche Investoren haben durch diese sogenannte 50+1-Regelung nur eingeschränkten Einfluss darauf, was die Vereine mit ihrem Geld anstellen. „Das ist nicht haltbar“, sagt Kaenzig. Noch in diesem Sommer werde diese Regelung kippen.

Pikanterweise ist in dieser Angelegenheit ausgerechnet Martin Kind so etwas wie Kaenzigs innigster Verbündeter: der Präsident von Hannover 96, der ihn vor anderthalb Jahren entlassen hat. Kind hat wohl schon einen Investor für 96 an der Hand. In der 50+1-Regelung sieht er einen „Nachteil im Wettbewerb“, der schnellstmöglich aus der Welt geschafft gehört. Für den Fall, dass die Satzung nicht in seinem Sinne geändert wird, hat Kind eine Klage angekündigt. Die Regelung verstoße gegen Europäisches Recht.

Das Thema wird immer dringender: Die DFL hat die 36 Profivereine für kommenden Mittwoch zu einem Investorengipfel eingeladen, um sie umfassend zu informieren und sich selbst ein Meinungsbild zu machen. Vor einem halben Jahr noch hat die DFL ihre unnachgiebige Haltung demonstriert, als ein russischer Investor mit 25 Millionen Euro bei Carl Zeiss Jena einsteigen wollte. Sie drohte dem Zweitligisten mit Lizenzentzug, zumal Zweifel an der Seriosität des Investors mit Firmensitz auf den Virgin Islands aufgekommen waren. Inzwischen scheint die DFL ihren generellen Widerstand schleichend aufzugeben, wenigstens aber will sie den Eindruck vermeiden, allzu überstürzt zu handeln. „Wenn die Schleuse einmal geöffnet wird, kriegen wir sie nicht mehr zu“, sagt Ligachef Reinhard Rauball. Ilja Kaenzig sieht es ähnlich, nur drückt er es anders aus: „Viele haben Angst, die Entwicklung zu verpassen.“

In England verdienen Investoren tatsächlich Geld mit dem Fußball, weil die Kosten nicht in dem Maße steigen, wie die Einnahmen der Vereine wachsen. Und in Deutschland gibt es noch wesentlich größeres Wachstumspotenzial: beim Fernsehgeld, vor allem in der Auslandsvermarktung. „Das Interesse am deutschen Markt steigt mit jeder Woche“, sagt Kaenzig. Verglichen mit englischen Vereinen sind deutsche Klubs in überschaubarem Maße verschuldet, und in Deutschland stehen die modernsten Stadien der Welt. „Was nicht erstklassig ist, ist die Vermarktung“, sagt Kaenzig. Das Städtische Sportamt denke nun mal nicht wirtschaftlich. In seiner Heimat, so erzählt der Schweizer, sehe das ganz anders aus. Die höchste Rendite erzielten die Stadionbetreiber mit – Altersheimen. In der Basler EM- Arena Jakobspark ist die Altersresidenz Tertianum untergebracht, mit 107 Seniorenwohnungen über sechs Etagen.

Die Investoren, die Kaenzig vermitteln will, sind keine warmherzigen Mäzene oder wohlsituierten Fans. Es sind Investmentfirmen, Private-Equity-Unternehmen oder Hedgefonds, die Geld verdienen wollen. „Das ist eine völlig emotionslose Herangehensweise“, sagt Kaenzig. „Wenn es ein gutes Geschäft ist, ist denen egal, ob sie in Hamburg investieren oder in Cottbus.“ Den deutschen Fußball aber würden sie tiefgreifend verändern: Die Vereine müssten plötzlich Businesspläne erstellen, wo sie bisher nur von Lizenzierung zu Lizenzierung gedacht haben.

Im Moment befindet sich eine Menge Fantasie auf dem Markt. Kaenzig hat das Gerücht gehört, „dass man mit Juventus Turin ins Geschäft kommen kann“. Vielleicht ist es wirklich nicht mehr als ein Gerücht, aber allein dessen Existenz deutet darauf hin, dass derzeit alles für möglich gehalten wird. Vielleicht sind auch die Renditeerwartungen völlig überzogen, aber zumindest mit dem Weiterverkauf von Klubanteilen scheint sich gutes Geld verdienen zu lassen. Für 280 Millionen Pfund haben die Amerikaner Gillett und Hicks den FC Liverpool gekauft. Inzwischen soll ihnen ein Unternehmen aus Dubai 400 Millionen Pfund für ihre Anteile bieten. Macht eine Wertsteigerung von fast 50 Prozent in einem Jahr. „Das kannst du nirgendwo sonst erzielen“, sagt Ilja Kaenzig. „Und das ist kein Glückstreffer.“

Der DFB im Kartellamtsstreit: Seite 2

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