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Peking 2008 - Kanurennsport - Andreas Dittmer

© dpa

Medaille verpasst: Andreas Dittmer, Privatmann

Am goldenen Tag der deutschen Kajakfahrer blieb für Andreas Dittmer nur die Enttäuschung. Der 36-Jährige, der die 1000-Meter-Strecke vier Jahre lang beherrscht hatte, konnte bei diesen Olympischen Spielen an seine früheren Leistungen nicht anknüpfen. Nun tritt er ab. Ein Porträt.

Als die Nationalhymne für die deutschen Besatzungen des Frauen-Vierers und des Männer-Zweiers erklang, da war Andreas Dittmer längst abgetaucht in die Unauffälligkeit. Irgendwo abseits stand er, eine Randfigur an diesem Tag. Er war immer eine Randfigur mit seinem Sport. Aber an diesem Freitag ist das definitiv nicht seine Rolle. Denn es ist der letzte Tag im Leben des Kanuten Andreas Dittmer. Er tritt jetzt ab. In der Statistik als dreimaliger Olympiasieger und achtmaliger Weltmeister. In der letzten Erinnerung der Zuschauer als abgeschlagener Mitläufer. Achter wurde Dittmer über 1000 Meter im Einer-Canadier, wenigstens Achter, Vorletzter. Dass er nicht Letzter wurde, war sein letztes Aufbäumen. Aber das war ein Sieg, den wohl nur er und seine engsten Freunde und seine Trainer registrierten.

Die Masse registrierte nur einen 36-Jährigen, der sich mühsam durchs Wasser quälte. Nichts erinnerte an den Mann, der diese 1000-Meter-Strecke vier Jahre lang ungeschlagen beherrschte. Er hatte sich sowieso nur mühsam ins Finale vorgekämpft. Über 500 Meter, auf der Strecke, auf der er 2004 eher unerwartet Olympiasieger geworden war, hatte er nicht mal den Endlauf erreicht.

Dittmers Karriere - eine Ära

Dittmer hatte keine Worte für seine Auftritte, er hatte nur ein paar Formelsätze, die man routiniert dahinsagt, weil die Leute vom Fernsehen irgendetwas erwarten. Aber eine Erklärung hatte er nicht. „Ich habe mich die ganze Zeit nicht wohl gefühlt, ich bin nicht in die Rennen gekommen, vielleicht lag es an der Zeitumstellung, keine Ahnung", sagte er nach dem 1000-Meter-Rennen mit leerem Blick in die Kamera des ZDF.

Vielleicht wird er irgendwann mal später die Fehler finden, wenn sein Trainer die Rennen analysiert hat. Gut möglich, dass Dittmer da längst der Privatmann Dittmer ist. Seine Karriere ist seit diesem Rennen definitiv beendet. Aber es war nicht bloß eine Karriere, es war eine Ära. Wie die von Birgit Fischer bei den Frauen, die erfolgreichste Kanutin die Welt.

Der Mythos: Birgt Fischer

Dittmer scheiterte aber auch an diesem Bild der Übergröße. Wer ratlos vor den Olympia-Leistung des Andreas Dittmer steht, der hat dieses Bild des Mythos', der Canadier-Legende vor Augen. Es war ein Bild, das unverrückbar stand wie ein Denkmal. Weil Kanuten nur einmal in vier Jahren in den Mittelpunkt rücken, weil man die schleichenden Entwicklungen dazwischen nicht sieht. Das letzte Bild prägt das aktuelle. Und das letzte Bild von Andreas Dittmer war jenes des Olympiasiegers von 2004. Es war der Andreas Dittmer, der nach vier Jahren, in denen er alle Rennen über 1000 Meter gewonnen hatte - und ausgerechnet in Athen 2004 auf seiner Spezialstrecke gegen den Spanier David Cal verlor. Obwohl der Neubrandenburger so schnell gefahren war wie noch nie in seinem Leben. Aber Cal war noch entfesselter gepaddelt.

Aber danach, unbemerkt, begann der schleichende sportliche Niedergang des Andreas Dittmer. Seinen letzten WM-Titel gewann er 2005, danach hatte er immer stärker zu kämpfen. Bei der Weltmeisterschaft 2007 in Duisburg belegte er auf seiner Spezialstrecke nur Platz sieben. Über 500 Meter holte er noch Silber. Und vor Peking hatte er Probleme, den jungen, 20 Jahre alten Sebastian Brendel in Schach zu halten. Brendel machte ihm den Qualifikationsplatz für Olympia streitig. Bei der ersten nationalen Sichtung paddelte Dittmer nur mit, geschwächt von schlechten Blutwerten. Erst beim Weltcup in Szeged sicherte er sich sein Olympiaticket. Es war ein Sieg der Routine. Brendel hatte seine Kraft zu früh in der Saison vergeudet. „Der typische Fehler eines jungen Athleten", sagte der Canadier-Bundestrainer Kay Vesely. „Ich war immer im Plan", sagte Dittmer. „Ich wusste immer, dass ich es schaffen würde."

Die Schmach von Athen

Sein Ziel war es nicht, einen jungen Konkurrenten im eigenen Lager zu kontrollieren. Er hatte eine ganz andere Mission. Die war losgelöst von Laktatwerten, Trainingssteuerung und Belastungstests. Die orientierte sich nicht an Trainingsergebnissen. Diese Mission orientierte sich an Emotionen, an Gefühlen, am Gedanken, dass da noch eine Rechnung offen war. Andreas Dittmer hatte das Gefühl, dass er diese Schmach von Athen wettmachen musste. Das klang bei ihm immer wieder durch.

Diese Niederlage über 1000 Meter, die war für ihn „die Hölle". Nach diesem Rennen brach er seelisch völlig zusammen. Minutenlang hielt er zitternd den Zettel in der Hand, auf der seine Rennzeit stand. Diese Zeit, die Weltrekord bedeutet hätte. Wenn nicht Cal schneller gewesen wäre. Am nächsten Tag holte er Gold über 500 Meter. „Von der Hölle in den Himmel", sagte er später.

Er wollte es noch einmal wissen

Aber dieses Gold hatte nicht die gleiche Bedeutung, wie sie ein Gold über 1000 Meter gehabt hätte. Die lange Strecke war seine Dominanz, hier ging es auch ums Prestige. Andreas Dittmer wollte in Peking noch einmal das Gefühl haben, dass der wahre König dieser Strecke jene Medaille holt, die einem König zusteht. Ihm, Andreas Dittmer. Dieser Gedanke war losgelöst von der Realität. Die Realität waren seine 36 Jahre, seine nachlassende Leistungsstärke. Er musste mit Erfahrung und Nervenstärke wettmachen, was ihm andere inzwischen an körperlicher Kraft voraus haben. Es gab einige Experten, die ihm sagten, dass es sehr schwer würde, diesen Vorsprung der anderen aufzuholen. Andreas Dittmer wollte es noch mal wissen.

Es ging schief. Dennoch: Andreas Dittmer ist jetzt, auf seine Weise, ein freier Mann. Er hat es versucht, er muss sich jetzt nicht mehr quälen. Es ist vorbei. Am 12. Oktober wird er vor Hawaii in einen Einbaum steigen und gegen andere Weltmeister und Olympiasieger 41 Meilen zu einer Insel paddeln. Dittmer ist noch ehrgeizig genug, dass er auch hier gewinnen will. Aber dieses Rennen bleibt trotzdem, als was es angedacht ist. Ein Spaß. Die ernsten sportlichen Momente hat Dittmer hinter sich.

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