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Sport: Medien und Menschen

Das tägliche Spießrutenlaufen für den Mann im Gelben TrikotVON HARTMUT SCHERZER DIJON.Nach dem Radrennen folgt das Spießrutenlaufen.

Das tägliche Spießrutenlaufen für den Mann im Gelben TrikotVON HARTMUT SCHERZER DIJON.Nach dem Radrennen folgt das Spießrutenlaufen.Seit zehn Tagen.Seit Andorra.Jan Ullrich macht hinter dem Zielstrich eine Vollbremsung, biegt ab und flüchtet in den mit Zäunen abgesperrten Trakt hinter dem Siegerpodest.Das Ritual wird zur Routine.Auf dem kürzesten Weg zur Siegerehrung - nur weg von der Meute der Kameraleute, Fotografen und Reporter.Sicherheitsmänner blocken den Weg frei.In der Schutzzone kann der neue Star erst einmal durchatmen und den Schweiß aus dem Sommersprossengesicht wischen.Hier dürfen sich ihm nur die hohen Herren der Tour nähern - Jean-Marie Leblanc oder Bernard Hinault. Auch die Trikotehrung wird zur Routine.So richtige Freude läßt Jan Ullrich nicht raus.Das Lächeln im erschöpften Gesicht wirkt aufgesetzt."Die Siegerehrung macht mir relaliv wenig Probleme.Keine körperliche Arbeit", sagt er."Man steht da zwischen zwei hübschen Mädels." Wenn einem das Gelbe Trikot übergestreift werde, sei er einfach zu kaputt, um seine Glücksgefühle zu zeigen."Die Freude kommt erst später richtig, wenn ich die Etappe noch einmal Revue passieren lasse." Und das ist Stunden später auf der Massagebank.Diese Muße lassen ihm die Medien nicht.Fernseh-Interviews sind Tour-Pflicht, mögen sie auch noch so lästig fallen."Ganz normal sein und bleiben", wünscht er sich.Doch die Medien wollen ihm seine Normalität nehmen, die Privatsphäre rauben.Die Umarmung mit der Mutter auf der Ehrenbühne - "quelle spectacle".Den Vater, von dem er seit zwanzig Jahren nichts mehr weiß, haben die Medien in Schwartau bei Lübeck ausfindig gemacht.Die Freundin, Gaby Weis, wird von der "Yellow-Press" verfolgt. Nochmals zur Zaunzone: Erst "France 2-3", dann ARD-Mann Jürgen Ehmig - so ist die Interview-Rangfolge innerhalb der Absperrung.Beide Sender haben für die Übertragungsrechte bezahlt.Draußen hängt ZDF-Reporter Klaus Angermann und läßt seine 32jährigen Tour-Beziehungen spielen.Die "Privaten" lutschen mit, auch "Eurosport" muß bedient werden.Und der"Velo-Klub", die Etappen-Talkshow von "France 2-3".Rudy Pevenage, der zweite sportliche Leiter, begleitet Ullrich als Übersetzer.Schon wird gefragt, wann Ullrich denn Französisch zu lernen gedenke, die offizielle Toursprache? Teamchef Walter Godefroot verweist auf Miguel Indurain.Der Spanier hat in zwölf Tourjahren nie Französisch gesprochen.Noch abends im Hotel, wenn Ullrich gegen halb elf vom Essen kommt, bestürmen ihn die Fans."Jan ist abends fix und alle", berichtet Zimmerkollege Jens Heppner.Die Verteidigung des Gelben Trikots scheint weniger strapaziös als das Spießrutenlaufen zwischen Massenmedien und Menschenmassen.

HARTMUT SCHERZER

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