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Sport: Mehr als ein Folkloretrainer

Stanislawski beweist sich auch in Hoffenheim

Holger Stanislawski hat sich nicht geirrt. Er ist auch nicht der Folkloretrainer, für den ihn Pessimisten gerade wegen seiner Erfolge beim FC St. Pauli hielten. Mit dem Verein vom Kiez schien er auf ewig verheiratet. Jetzt beweist sich Stanislawski weit weg von allem Hanseatischen als Fußballtrainer, der eine Mannschaft weiterbringen will – und das auch schafft. Selbst wenn es sich um einen speziellen Klub wie 1899 Hoffenheim handelt, zu dem der Hamburger so gar nicht zu passen schien. Nach dem 3:1 (2:0) über den VfL Wolfsburg stehen Stanislawski und seine Hoffenheimer nun auf Platz vier. Die Gegensätze harmonieren im Zusammenspiel.

Es wird immer wieder über Dinge berichtet, die man in Hoffenheim als „Wunder“ ansieht. Zum Beispiel, dass im Training gesungen wird, wenn ein Spieler einen Fehler macht. Der Gesang soll Strafe sein und, so stellte man verwundert fest, ist am Ende doch eher eine Riesengaudi. Das nächste Wunder ist Ryan Babel: Europaweit inzwischen fast als talentierter Chancentod eingestuft, stehen heute beim Niederländer bemerkenswerte vier Treffer nach sechs Spielen zu Buche. Das Umfeld des Klubs ergötzt sich an einer Mannschaft, die an sich glaubt und Fußball spielt, als gäbe es eine neue Perspektive. In und um Hoffenheim wird wieder über Fußball gesprochen, trotz aller peinlichen Affären wie die Sound-Attacke auf gegnerische Fans. Die hat Stanislawski zwar ebenso wenig verhindern können wie peinliche Versuche manches Vereinsvertreters, die Täter in Schutz zu nehmen. Aber er hat sich von der Diskussion nicht anstecken lassen und hat auch seine Spieler davor schützen können.

Da scheint eine Mannschaft zu neuem Leben erwacht, die sich mehrmals am Ende sah. Stanislawski hat sich nicht verändert oder angepasst. Er gibt immer noch den Kumpeltyp, aber ist genauso intensiv (und vielleicht noch mehr als alles andere) Antreiber, Motivator und strenger Lehrer, der sich in der Verantwortung sieht, Ergebnisse zu liefern, egal wie schwierig die Voraussetzungen sein mögen.

Der Trainer Stanislawski arbeitet auch für sich, keine Frage. Die Welt des FC St. Pauli schien ihm zu klein. Davon profitiert Hoffenheim. Im Angriff hat er eine neue Ordnung geschaffen, indem er viele Freiheiten lässt und den Stürmern die Anweisung mit auf den Weg gibt, nüchtern den Abschluss zu suchen. Im Mittelfeld erinnerte er Sebastian Rudy, dass filigranes Spiel in der Bundesliga nicht ausreicht, sondern dass man auch physisch präsent sein muss.

Mittlerweile darf der Trainer für sich in Anspruch nehmen, die Aufmerksamkeit von sich auf die Mannschaft gelenkt zu haben. In den ersten Wochen galt einer wie er fast als Sensation im beschaulichen Kraichgau. Die Aufregung hat sich gelegt und Stanislawski geht seinen Weg.

Nach einem Spiel wie gegen Wolfsburg sieht das so aus. „Genauso wenig, wie ich einzelne Spiele hoch hänge, hänge ich Platz vier hoch“, sagte Stanislawski. „Wir haben schon noch einige Luft nach oben. Da schlummert noch Potenzial.“ Damit will er Druck abbauen und dennoch Lust machen. Das Ergebnis ist der beste Saisonstart der Vereinsgeschichte. Aus der Mannschaft wird von emotionalen und mitreißenden Ansprachen berichtet, nie vergisst Stanislawski, vom Gemeinschaftsgefühl zu reden.

Manches aus seiner alten, beschaulichen St.-Pauli-Welt hat sich Stanislawski dann doch mit in die neue Umgebung in Hoffenheim gerettet. Als neulich ein Reporter des „Hamburger Abendblatt“ im für ihn exotisch anmutenden Kraichgau dem alten Trainer einen Besuch abstattete, führte ihn Stanislawski zuerst lange über das durch elektronisch lenkbare Gittertore abgeschottete Vereinsgelände und fragte dann: „Warum machst du nicht nachher mit? Wir haben da ein kleines Fußball-Turnier der Mitarbeiter.“ Ein bisschen Folklore muss eben doch sein.

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