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Sport: Mehr Mitte

Hertha BSC hat das Mittelfeld so massiv besetzt wie kein anderer Bundesligist – und ist damit äußerst erfolgreich

Berlin - Der gute Wille war Artur Wichniarek nicht abzusprechen. Er tat genau das, was Trainer in der Regel von ihren Stürmern verlangen: Wichniarek wich auf den rechten Flügel aus, um Platz zu schaffen für seine Kollegen in der Angriffsmitte. Bevor er den Ball dann in den Strafraum flanken wollte, hob er den Blick und sah – niemanden. Zumindest niemanden, der wie er selbst das Trikot von Hertha BSC trug, sondern nur jede Menge Nürnberger Abwehrspieler.

Das ist der Nachteil am derzeit äußerst erfolgreichen System des Berliner Fußball-Bundesligisten. Trainer Falko Götz lässt seine Mannschaft mit nur einem echten Stürmer spielen, und wenn der dann alten Reflexen folgt und sich aus der Angriffsmitte Richtung Seitenlinie bewegt, bleibt im Sturmzentrum manchmal die große Leere. Aber das nimmt Götz bewusst in Kauf – weil Hertha mit dieser Taktik zurzeit so erfolgreich spielt wie kein anderer Verein der Bundesliga. Elf Spiele hintereinander haben die Berliner nicht mehr verloren.

Diese Erfolgsserie hat viele Gründe. Einer von ihnen, vielleicht sogar der Urgrund, ist, dass Hertha das Mittelfeld so massiv besetzt wie kein anderer Bundesligaverein. Am vergangenen Wochenende gegen den 1. FC Nürnberg bot Götz nur drei Verteidiger und einen Stürmer auf, dafür sechs Mittelfeldspieler. Am Sonntag, beim VfB Stuttgart, könnte sich Herthas Trainer für eine ähnliche Aufstellung entscheiden, weil die beiden wichtigen Abwehrspieler Josip Simunic (Bänder- und Kapselverletzung) und Arne Friedrich (fünfte Gelbe Karte) ausfallen.

Herthas hervorragende Defensivbilanz mit nur 18 Gegentoren in 21 Bundesligaspielen ist keineswegs nur das Verdienst der sicheren Abwehr. Die gesamte Ordnung stimmt, das kollektive Defensivverhalten und die taktische Disziplin. Götz verweist darauf, „dass die ganze Mannschaft im defensiven Verhalten mitarbeitet. Wir sind auch deshalb so stabil, weil von vorne nach hinten gearbeitet wird.“

Manager Dieter Hoeneß sagt: „Im Moment ist es schwierig, gegen Hertha Tore zu machen.“ Das liegt in erster Linie daran, dass es schwierig ist, überhaupt in die Nähe des Berliner Tores zu gelangen. Den Gegnern ergeht es im Mittelfeld, der Zone also, in der Tore oder Torchancen angebahnt werden, ähnlich wie dem Hasen im märchenhaften Rennen gegen den Igel: Wo immer sie hinkommen, steht ihnen ein Berliner bereits auf den Füßen. Dadurch bleibt kaum Zeit, den eigenen Angriff überlegt einzuleiten. Die Gegner werden zu überhasteten Aktionen gezwungen, den Rest erledigen Herthas Abwehrspieler ohne größere Probleme. Dass die Verteidiger in dieser Saison bisher so gut aussehen, haben sie auch ihren emsigen Kollegen im Mittelfeld zu verdanken.

Hertha ist nicht der einzige Verein in der Bundesliga, der so spielt. Arminia Bielefeld hat ein vergleichbares System, mit ebenfalls nur einem Stürmer. Auch die Bielefelder gelten als extrem unbequemer Gegner. Zufall ist das nicht. Was Hertha dem Aufsteiger jedoch voraus hat, ist die spielerische Klasse im Mittelfeld. Mit der Verpflichtung von Yildiray Bastürk und Gilberto haben die Berliner noch einmal einen erheblichen Qualitätssprung gemacht. Während Bielefeld in eine Krise stürzte, als Delron Buckley über mehrere Wochen hinweg das Tor nicht traf, kann Hertha, anders als in der vorigen Saison, jetzt sogar den Ausfall von Marcelinho kompensieren.

Mit der Kraft aus der Mitte findet Hertha gewissermaßen zurück zu sich selbst. Nach dem Aufstieg 1997 haben die Berliner ihre beste Zeit erlebt, als sie im Mittelfeld ein Übermaß an spielerischer Kreativität besaßen, zunächst mit Wosz und Tretschok, dann mit Wosz, Beinlich und Deisler und schließlich mit Marcelinho, Beinlich und Deisler. Diese kurzzeitig unterbrochene Entwicklung hat Hertha in dieser Saison wieder aufgenommen. 25 der 35 Tore haben die Mittelfeldspieler erzielt. „Egal, wer da gegen uns spielt – der Trainer des Gegners hat sicherlich den Kopf voll“, sagt Falko Götz.

Das erfolgreiche System haben Götz und Manager Hoeneß im Sommer in Brasilien ausgetüftelt, als sie Gilberto abschließend beobachteten. Auf der Tribüne malten Götz und Hoeneß eine mögliche Mannschaftsaufstellung aufs Papier, mit Gilberto im linken Mittelfeld, Bastürk rechts und Marcelinho in der Mitte. Mit dem neuen System hat die Mannschaft ein Gleichgewicht gefunden, das ihr in der vergangenen Saison noch gefehlt hat. Weil Herthas Offensivkräfte individuell stark genug sind, können sich die Defensivspieler jetzt auf ihre eigentlichen Aufgaben beschränken. Im vergangenen Jahr war das noch anders. Als Marcelinho verletzt fehlte, sah sich Niko Kovac genötigt, eine Art Ersatzspielmacher zu geben. „Ich wollte und sollte auch ein bisschen was nach vorne machen“, sagt er. „Das ist dann in die Hose gegangen.“

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