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Meinung: Spiele der Unfreiheit

Warum es trotz allem richtig war, die Spiele an Peking zu vergeben, schreibt hier unser China-Korrespondent Harald Maass.

Die Olympischen Spiele in Peking waren stets mehr als ein Sportereignis. Mit der Vergabe nach China, der aufstrebenden Großmacht des 21. Jahrhunderts, schwang die Hoffnung mit, dass sich auch politisch etwas in dem Land der 1,3 Milliarden verändern könnte. Pekings Führer nährten diese Hoffnung. Sie versprachen eine Verbesserung der Menschenrechtslage, mehr Freiheit und eine Lockerung der Zensur. Doch die Bilanz ist ernüchternd. Peking hat seine Versprechen gebrochen. Egal, wie sich die Spiele entwickeln, wie spannend und dramatisch die Wettkämpfe werden: Über ihnen hängt ein Schatten. Peking 2008 wird als die Spiele der Unfreiheit in die olympische Geschichte eingehen.

Statt einer Öffnung Chinas gab es Verhärtung. Statt mehr Freiheiten stieg der Druck auf Andersdenkende und Kritiker. Die bittere Erkenntnis: China ist noch immer ein Land der Unfreiheit. Trotz zwei Jahrzehnten gesellschaftlicher Öffnung, trotz Wirtschaftsaufschwung und moderner Hochhäuser hat sich am Machtmonopol der allein regierenden Kommunistischen Partei nichts geändert. Die scheinbaren Freiheiten im Alltag der Chinesen, ob Internet oder Urlaub im Ausland, sind in Wirklichkeit nur eine Gnade der KP. Kritik an gesellschaftlichen Missständen ist nur so lange erlaubt, wie es das Regime duldet. Am Einparteiensystem darf niemand rütteln, Gewerkschaften sind tabu. Wer diese Linien übertritt, bekommt es mit der Staatsmacht zu tun. Deren System hat sich seit Mao nicht verändert: Kritiker werden bedroht, ins Gefängnis geworfen, gefoltert, ihre Familien drangsaliert.

Zu dem Kontrollsystem über das Volk gehört auch die Zensur des Internets. Für Pekings Olympiaorganisatoren war es offensichtlich nie eine Frage, dass auch die Informationen für die 25 000 Journalisten bei Olympia gefiltert würden. In China ist die Zensur ein untrennbarer Teil des Internets. Jeden Tag werden mehr als 250 Millionen Internetbenutzer kontrolliert. Wenn Chinesen sensible Webseiten etwa von Menschenrechtsorganisationen oder auch nur den chinesischen Dienst der Deutschen Welle aufrufen, zeigen die Computer eine Fehlermeldung. Wer das zu oft probiert, wird über eine automatische Software der Polizei gemeldet.

Zwar hat Peking nach der weltweiten Kritik einen teilweisen Rückzieher gemacht und eine Zahl zuvor gesperrter Webseiten vorübergehend freigeschaltet – zum ersten Mal können Chinesen nun die Website von Amnesty International aufrufen. An dem grundsätzlichen Zensursystem ändert sich jedoch nichts. Chinesische Journalisten, die sich nicht an die offiziellen Sprachregelungen halten, verlieren auch künftig ihren Job. Weil im Zweifel jede Information als Staatsgeheimnis deklariert werden kann, auch der Wetterbericht, können Kritiker und Internetautoren jederzeit wegen „Gefährdung der Staatssicherheit“ weggesperrt werden. Trotzdem war es richtig, die Spiele an Peking zu vergeben. Denn der Kontrollstaat ist nur eine Seite der chinesischen Wirklichkeit. Auf der anderen Seite gibt es die ermutigende Entwicklung einer Zivilgesellschaft. Die zarte Pflanze eines Rechtsstaates, die trotz Gängelung durch die Partei und Korruption langsam Wurzeln schlägt. Es gibt eine wachsende Ökobewegung, die sich in tausenden Umweltgruppen an Schulen und Universitäten zeigt. Selbst in den Medien lassen sich positive Entwicklungen beobachten. Viele gesellschaftliche Probleme werden heute – wenn auch im Rahmen der Zensur – öffentlich diskutiert.

Peking 2008 hätte ein Olympia dieser Forschritte werden können. Die Spiele hätten ein Fest für die Integration Chinas in die Weltgemeinschaft, ja ein Fest des Friedens sein können. Doch dazu hätte es mehr als hübscher Fassaden und moderner Sportstadien bedurft. Pekings KP-Führer hätten die Chance ergreifen und mit Reformen beginnen müssen. Stattdessen hielten sie an einem autoritären System fest, das schon lange nicht mehr in Chinas Realität passt.

Harald Maass

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