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Sport: Mensa der Heiligen

Einmal pro Jahr treffen sich die aktuellen und ehemaligen Tennisgrößen – in Wimbledon

London - In der vergangenen Woche konnte man in Wimbledon Boris Becker in ungewöhnlicher Pose erleben. Der deutsche Tennisstar stand auf dem Dach des Fernsehzentrums an der Church Road und analysierte live im Frühstücksfernsehen der BBC die bevorstehenden Matches. Vorne beleuchteten ihn die Scheinwerfer der Fernsehkameras, hinter ihm stieg die Sonne höher und höher über dem Tennisgelände an der Church Road. Wer unter ihm auf der Anlage stand, konnte sehen, wie das viele Licht Boris Beckers blondierte Haare noch goldener als sonst erstrahlen ließ. Wüsste man es nicht besser, hätte man den Glanz um seinen Kopf herum für einen Heiligenschein halten können. Ein wenig aber stimmt es ja auch: Boris Becker zählt zu den Heiligen des Tennissports. Einmal im Jahr treffen sie sich. In Wimbledon.

Ihr Sammelpunkt ist ein schlauchförmiges Restaurant, das mit dem Centre- Court und den Umkleidekabinen durch zwei Gänge verbunden ist. Nur aktuelle und ehemalige Spieler sowie deren Angehörige erhalten Zutritt zu dieser Ruhmeshalle mit Terrasse. Diese liegt einige Meter über dem Zuschauergelände, was den erwünschten Effekt hat, dass die Tennisfans unten stehen und die Heiligen oben. Manchmal, wenn einige ihre Namen schreien, winken sie von oben herab. Ein Paradies jedoch ist das Spielerrestaurant nicht, im Gegenteil, die Mensa-Atmosphäre steht in seltsamem Kontrast zur Prominenz der Gäste. John McEnroe, Jimmy Connors, Tracy Austin, alle müssen sich vor zwei Kassen anstellen und sich selbst bedienen. Stühle und Tische des Restaurants könnten aus einem schwedischen Einrichtungshaus stammen, das Essen sieht unspektakulär aus. Bei der Regenpause am Freitagabend haben sich viele Stars versammelt: Martina Navratilova sitzt am Fenster und spießt Nudeln auf die Gabel, Andy Roddick wartet an einem Stehtisch, dass er weiterspielen darf. Kevin Curren trinkt mit einem alten Kollegen Bier. Der 47-jährige Südafrikaner ist durch seine Finalniederlage gegen Boris Becker 1985 einer der berühmtesten Verlierer Wimbledons.

„Schaut euch diese alten Jungs an“, ruft die BBC-Moderatorin Sue Barker in ihrer Livesendung und blickt durch ihr Schaufenster auf Platz 18, „die sind hart.“ Der Regen hatte am Freitagabend alle Matches auf dem Gelände gestoppt. Alle Matches? Nicht auf Platz 18, wo Kevin Curren und Johan Kriek gegen Brian Gottfried und Raul Ramirez in der Klasse der Über-45-Jährigen tapfer weiterspielen. Irgendwann ertönt während ihres Matches der Sicherheitshinweis: „Liebe Zuschauer, seien Sie daran erinnert, dass Sie ihre persönlichen Gegenstände immer und überall bei sich tragen.“ Daraufhin geht Gottfried zum Stuhl und schleppt seine Tennistasche auf den Platz. Die Zuschauer lachen.

Eigentlich ist Wimbledon eine ernste Angelegenheit. Besonders für die Tauben auf dem Gelände an der Church Road. Seit fünf Jahren, so schreibt der „Guardian“, kommt Wayne Davies um sieben Uhr morgens mit seinen zwei Falken und zwei Habichten nach Wimbledon und lässt sie zwei Stunden lang in der Luft fliegen. Da Greifvögel die natürlichen Feinde der Tauben sind, lassen sie sich auf diese Weise leicht vom Wimbledon-Gelände verscheuchen. „Es ist eine effiziente und ökologisch saubere Methode“, sagt Wayne Davies. Früher mussten die Spieler schon mal mit ihren Rackets nach den Tauben schlagen, wenn sie sich gestört fühlten.

Andere Dinge werden sich nie ändern. Auch in diesem Jahr scheint die Royal Box eine besondere Klientel anzuziehen: die James-Bond-Darsteller. Am vergangenen Samstag klatschte Sean Connery der neuen britischen Tennishoffnung Andrew Murray Beifall, am Freitag wurden George Lazenby und Pierce Brosnan in den Rängen gesichtet.

Boris Becker aber gibt es nur einmal, auch wenn der 37-Jährige in diesen Tagen überall ist. In der „Times“ schreibt er täglich eine Kolumne, für die BBC kommentiert er die Herrenspiele, für die Lawn Tennis Association ist er als Talentförderer unterwegs. Zwischendrin schlendert er zwischen dem Spielerrestaurant und der Kommentatorenkabine hin und her. Einmal bleibt er kurz in einem Verbindungsgang stehen und blickt in ein Fenster, in dem er sich spiegelt. Mit der rechten Hand fährt er sich durch die Haare.

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