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Sport: „Menschenversuche“

Doping-Experte Fritz Sörgel über den Skandal in den USA

Sie haben die Chemiker, die das jetzt in den USA entdeckte Designersteroid THG entwickelten, als Kriminelle bezeichnet. Es handele sich um Menschenversuche der übelsten Art.

Aus gutem Grund baut nationales amerikanisches und vergleichbares Recht in allen wichtigen Industrieländern hohe Hürden auf, bevor ein chemisch neuer Stoff erstmals und unter hohen Sicherheitsvorschriften für die Probanden am Menschen getestet werden kann. Diese Leute, die auch das besonders strenge amerikanische Gesetz kennen und die wissen müssen, dass bei neuen Chemikalien mit schweren, nicht vorhersehbaren Nebenwirkungen gerechnet werden muss, kann ich leider bei solchen Menschenversuchen nicht anders bezeichnen als Kriminelle.

Welche Nebenwirkungen entstehen denn bei Steroiden, die THG ähnlich sind?

Das ist ja gerade das Problem: Da es keine wissenschaftlichen Daten gibt, kennen nur die betroffenen Sportler und deren kriminelle Hintermänner diese Substanzen. Es kann sich um ein völlig neues Designersteroid handeln – mit bisher wenig bekannten Eigenschaften. Wer weiß das? Ich nehme an, dass die typischen Steroidnebenwirkungen an der Leber, dem Herzkreislaufsystem bis hin zum Herzinfarkt noch vorhanden sind. Aber was kommt neu dazu? Ich weiß es nicht. Bedenken wir, dass bei Contergan nur eine bestimmte chemische Form die verheerenden Effekte ausmachte.

Sie testen selber jeden Tag neue pharmazeutische Produkte? Wie läuft so etwas seriös ab?

Das ist ein sehr langer Prozess des Abwägens, Befragens aller denkbaren Experten, Ethikkommissionen und dann ein gewissenhaftes Vorgehen. Eine ganz kleine, wohl berechnete Dosis wird am Anfang bei zunächst nicht mehr als zwei oder drei Probanden getestet. Dann wird die Dosis und die Zahl der Probanden allmählich gesteigert, wenn sich eine gute Verträglichkeit zeigt. Natürlich hat die Herstellerfirma vor jeder Anwendung durch uns ausführliche Tierversuche durchgeführt. Ohne die ist natürlich überhaupt kein Versuch am Menschen möglich.

Gibt es denn keine Kontrollmöglichkeiten? Solche Stoffe entstehen ja nicht in Garagenlabors. Kann in angesehenen Labors jeder Chemiker entwickeln, was er gerade will?

In seriösen Firmen nicht. Solche Vorgänge würde ich doch mehr in so genannten Garagenlabors oder kleinen Forschungslabors vermuten. Dennoch können sie nicht bei jedem Chemiker in die Suppe schauen, und so kann es – auch ohne Wissen des Unternehmens – in einer völlig seriösen Firma passieren. Diese Giftküchen müssen von den Strafverfolgungsbehörden denen der Drogendesigner gleich gestellt und gleich stark verfolgt werden.

Was treibt einen Chemiker, einen Stoff zu entwickeln, der, wie bei THG offenbar der Fall, nur dazu dient, ganz bewusst die Dopingfahnder in die Irre zu führen.

Für einen Chemiker oder Pharmazeuten ist das natürlich eine durchaus reizvolle Aufgabe, schließlich lernt er Medikamente so zu entwickeln, dass sie immer neue und bessere Eigenschaften haben. In diesem Fall ist aber bedenklich, dass ein offensichtlich sehr kompetenter Kollege oder ein ganzes Team einfach wissen musste, wohin die Reise geht. Letztlich kann man aber in einer gut eingerichteten Chemieküche ebenso leicht neue chemische Wirkstoffe mit solchen Eigenschaften machen, wie die Computertechniker in der Garage ganz gute Computer zusammen basteln.

Haben Sie Hinweise darauf, dass große Pharmafirmen oder Großsponsoren Druck auf Chemiker ausüben, damit die solche Substanzen finden? Oder ihnen vielleicht sogar speziell dafür Geld geben?

Nichts ist unmöglich, aber die großen Pharmafirmen sind trotz gelegentlicher Verfehlungen Einzelner sehr verantwortungsbewusst. Ich halte es für ausgeschlossen, dass dahinter eine seriöse Pharmafirma steckt.

Und wer könnte sonst hinter solchen Vorgängen stecken?

Auf die vielen kleinen börsenorientierten Startup-Firmen, die heute in den USA und anderswo ums Überleben kämpfen, muss man zumindest ein Auge werfen. Da gibt es auch Verzweiflungstaten.

Bei einer Razzia beim Giro d’Italia 2001 wurde beim italienischen Radprofi Dario Frigo das Mittel Hemassist gefunden. Für Fahnder eine erschreckende Beute. Denn das Blutersatzpräparat war nie offiziell auf dem Markt, und der Hersteller hat es noch in der klinischem Erprobung zurückgezogen. Es muss also direkt aus dem Forschungslabor an einen Dealer gekommen sein.

Darum meine ich: Nichts ist unmöglich.

Auch im Fall von Hemassist? Hat die Dopingmafia also schon einen Zugriff direkt in die Forschungslabors?

Im Fall von Hemassist gehe ich jedoch eher von Diebstahl aus, da eine gemeinhin als seriös angesehene Firma dieses Präparat entwickelte. Bei der gleichen Razzia wurde noch ein anderes Testpräparat entdeckt. Dabei handelte es sich aber um eine kleine Biotec-Firma, für die es natürlich reizvoll sein könnte, gewissermaßen umsonst klinische Tests jenes Stoffes zu bekommen, der im Endeffekt ähnliche Wirkungen wie das Epo hat, nämlich mehr Sauerstoff für den Muskel und damit mehr Leistung erzeugen sollte. Früher oder später werden wir gerade in diesem Bereich Todesfälle sehen, wenn bestimmte gentechnologische Produkte außerhalb der Industrieländer wie wild in die Körper der Sportler gespritzt werden. Die Sportler sind für diese Kriminellen einfach auch hervorragende „Versuchsobjekte“, ehrgeizig genug, alles mit sich und ihrem Körper machen zu lassen, um Erfolg zu haben, und oft auch sehr naiv – um es vorsichtig auszudrücken.

Das Gespräch führte Frank Bachner.

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