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Sport: Mental gefährlich

Klaus Augenthaler hat Bayer Leverkusen das gegeben, was dem Verein seit Jahren fehlte: ein Stück FC Bayern

München. Für die Spieler des FC Bayern ist es angenehme Routine. Jedes Jahr geben sie in etwa das Bild ab, das sich am Samstagabend den Besuchern des Hippodrom bot. Hoch oben auf dem Balkon des Wiesnzeltes wankten Fußballprofis in schmissiger Lederhose, die irgendwann, gedopt von einer ordentlichen Menge Bier, lauthals in das Gegröle der ringsum Feiernden einstimmten. Doch diesmal waren es nicht die Bayern, sondern die vornehmlich preußisch-brasilianisch bestückte Berufssportgruppe aus Leverkusen.

Bis auf den heiligsten Boden des Konkurrenten hatten sich die Rheinländer am Ende vorgewagt und sich dort skrupellos ausgetobt. Es war eine sehr pittoreske Darstellung dessen, was Klaus Augenthaler in seinen vier Monaten in Leverkusen geschafft hat: Bayer 04 ein Stück FC Bayern anzuerziehen, ein bisschen Mia-San-Mia. Gepaart mit der erlesenen Qualität des Kaders könnte die neue Mentalität im Titelkampf eine gefährliche Mischung ergeben.

„Zwei, drei Dinge haben wir verändert“, sagt Augenthaler, wenn er die Ursachen des Aufschwungs erörtern soll. Natürlich ist das untertrieben, vor allem aber sind es entscheidende Dinge, die er anders handhabt als seine Vorgänger. In seinen zwei Jahrzehnten bei Bayern hat er die Gewissheit erlangt, dass nur eine harte Linie zum Erfolg führt. Das Trainerteam krempelte er rigoros um, statt Ralf Minge und Toni Schumacher vertraut er Peter Hermann, Ulf Kirsten und Rüdiger Vollborn. Auch im Kader nimmt er auf Einzelschicksale keine Rücksicht. Jens Nowotny etwa gewährte er den öffentlich geforderten Einsatz – allerdings nicht im Olympiastadion, sondern Am Kradepohl, dem Stadion von Oberligist Bergisch-Gladbach. Erneut durfte der genesene Kapitän nur bei den Amateuren ran.

Wichtiger noch: Der ewig deprimierte Zweite scheint allmählich das Selbstbewusstsein des erfolgreichsten Bundesliga-Spielers aller Zeiten zu adaptieren. Das 3:3 war ein erster Beleg dafür, nachdem Augenthaler die frühen Saisonsiege als bloße Pflicht eingeordnet hatte. Endlich hatte Bayer die lähmende Ehrfurcht vor dem Rivalen abgelegt. „Die rennen da mit dem Autogrammblock rum, um eine Unterschrift von Matthäus zu bekommen“, hatte Geschäftsführer Reiner Calmund nach einer der ernüchternden Dienstreisen gezischt, bei denen Bayer so verlässlich versagte, dass Calmund schon das Stadionheft hätte mitnehmen müssen, um München nicht mit leeren Händen zu verlassen.

Doch diesmal holten sie nicht nur den ersten Punkt seit einem Jahrzehnt, sie traten von Beginn an auf, als würde nach Abpfiff der Meister gekürt. Giftig suchten sie Zweikämpfe, gewannen die Mehrzahl davon, begingen 23 Fouls und erhielten vier Gelbe Karten, die erste nach drei Minuten. „Man hat gesehen, dass die nicht gewillt waren, die Punkte einfach hier zu lassen“, sagte Bayern-AG-Chef Karl-Heinz Rummenigge. Nur kurzzeitig verfielen die Leverkusener in den alten Trott, nach Zé Robertos Platzverweis ließen sie die Bayern den Rückstand zur Führung verwandeln. Genau da jedoch zeigte sich das neue Leverkusen, das sich bei der Oliver-Kahn-Doktrin „Immer weiter, immer weiter“ bediente. „Kompliment an meine Mannschaft, dass sie sich in dieser Phase nicht aus der Ruhe hat bringen lassen“, lobte Augenthaler.

Nun den Titelkampf für eröffnet zu erklären, wie es womöglich einigen seiner Vorgänger passiert wäre, kommt für Augenthaler nicht in Frage. „Der Auge hat mit seiner bayerischen Ruhe und Fachkompetenz genau das bei uns reingebracht, was wir brauchen“, sagt Calmund, der registriert hat, dass sich die in den Wirren des Abstiegskampfes gefundene Eillösung als zukunftsträchtiges Modell entpuppt. Es könnte also eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit werden. Wie ernst Augenthaler die Sache ist, zeigt der geplante Umzug seiner Familie nach Leverkusen. Die ersten 45 Jahre seines Lebens hat Augenthaler in bayerischer Vorstadtidylle verbracht, selbst nach Graz und Nürnberg, seinen ersten Stationen als Trainer, ist er gependelt. Augenthaler weiß die Vorzüge Münchens zu schätzen. Seit Sonnabend gilt das auch für den Rest seines Vereins.

Daniel Pontzen

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