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Ballack

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Michael Ballack: Die Macht des Kapitäns

Michael Ballack gilt in der deutschen Nationalelf als Wortführer. Er schreckt aber auch nicht davor zurück, gegenüber dem Bundestrainer offensiv seine Meinung zu vertreten - und sie auch durchzusetzen.

Neulich saß Michael Ballack im lauen Schatten und hat laut gelacht. Es ging um die Frage, ob er sich vorstellen könne, Bundestrainer zu werden? Michael Ballack hat einmal laut aufgelacht, aber ein wenig gefallen hat ihm der Gedanke schon. Warum auch nicht? Manchmal denkt und redet Michael Ballack, der Mittelfeldspieler und Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, schon jetzt wie ein Bundestrainer.

Der Bundestrainer heißt immer noch Joachim Löw, und vor etwas mehr als zwei Wochen hatte Löw seine erste heikle Situation als Bundestrainer zu überstehen. Gegen Kroatien, im zweiten Gruppenspiel der Europameisterschaft, versagte ihm die Mannschaft ihre Gefolgschaft. Löws Wechsel, als Signale gedacht, kamen nicht bei den Spielern an. Das mag daran gelegen haben, dass die Signale falsch waren, vor allem die Einwechslung von David Odonkor. Vielleicht aber lag es einfach an der Mannschaft. Auch Michael Ballack versuchte es: Er meckerte auf dem Platz, stauchte seine Mitspieler reihenweise zusammen. Aber: Sie verstanden ihn nicht. Wollten ihn nicht verstehen.

Ohne dieses Spiel, das so gänzlich daneben gegangen ist, ohne die Niederlage gegen Kroatien, die erste Zweifel an der Kompetenz des Bundestrainers Löw stiftete und die Autorität des Anführers Michael Ballack erstmals in Frage stellte, ist der Erfolg der deutschen Mannschaft bei dieser Europameisterschaft nicht zu verstehen. Wenn sie heute im Wiener Ernst-Happel-Stadion zum Finale gegen Spanien aufläuft, ist das in erster Linie ein Verdienst des gemeinsamen Wirkens von Joachim Löw und Michael Ballack. Die Beiden bilden so etwas wie das Kraftzentrum der deutschen Nationalmannschaft.

Im Tessin, wo die Deutschen dreieinhalb Wochen lang ihr Quartier hatten, fanden für Beide prägende Tage statt. Michael Ballack hat neue, echte Führungsqualitäten entwickelt, Löw hat sie erstmals als verantwortlicher Cheftrainer nachgewiesen. Der eine hätte es wohl ohne den anderen nicht geschafft. Beide stehen nun im Finale. Michael Ballack könnte das letzte Loch in seiner an sich glänzenden Karriere stopfen, Löw in die Riege der großen Trainer aufsteigen. Der einzige Bundestrainer, der auf Anhieb einen Titel geholt hat, war Jupp Derwall 1980. Herberger, Schön, Beckenbauer und Vogts brauchten Anlauf. Alle anderen gewannen nichts.   Die Deutschen hätten wie schon 2000 und 2004 in der Vorrunde ausscheiden können. Sie durften nicht verlieren im letzten Gruppenspiel gegen Österreich. In den Tagen vor dem Spiel wurde darüber spekuliert, ob Löw nach einer Niederlage überhaupt Bundestrainer bleiben könne. Löw selbst wusste, dass sein Job auf dem Spiel stand, natürlich habe er sich Gedanken gemacht, hat er hinterher zugegeben. Dass alles glimpflich ausging, hat er Michael Ballack zu verdanken. Ballack traf mit einem Freistoß zum 1:0 für Deutschland. Mit diesem Tor rettete er Löw den Job.

Es ist müßig darüber zu streiten, wie viel Macht Michael Ballack besitzt. Tatsache ist: Er hat Macht. Das war schon unter Löws Vorgänger Jürgen Klinsmann so und auch unter dessen Vorgänger Rudi Völler. Und Michael Ballack wird noch an Macht gewinnen, wenn die Deutschen heute Europameister werden. Der Titel würde für immer mit seinem Namen in Verbindung gebracht werden – und vor allem mit seinem Freistoßtor gegen Österreich. Das Fernsehen hat auf sein Gesicht gezoomt: Sein Blick wurde zum Mordinstrument. Nie hat man Ballack entschlossener erlebt.

Er weiß, was er für diese Mannschaft bedeutet. Er kennt seinen Wert. Vor der WM 2006 suchte Ballack den offenen Konflikt mit Jürgen Klinsmann. Die Mannschaft hatte gegen Japan nur 2:2 gespielt und wieder einmal klaffende Lücken in der Defensive offenbart. So geht es nicht, sagte Ballack. Wir brauchen mehr Stabilität. Aber Stabilität würde die Mannschaft nur bekommen, wenn Ballack sich und seine Position in der Offensive opfern würde. Klinsmann, der Guru des Hurrafußballs, sträubte sich, aber Ballack gewann. „Das war gut für unsere Mannschaft“, sagt Ballack. „Klar habe ich mich zurückgenommen.“

Joachim Löw ist allmählich mächtig geworden. Im Schatten Klinsmanns machte er auf sich aufmerksam. Er hatte keine große Karriere in den Beinen, als Spieler fehlte ihm der große Name. Das muss nichts heißen, sagt aber einiges. Löw musste erst in der Trainerausbildung an der Sporthochschule Köln das Funktionieren einer Viererabwehrkette in zwei Minuten so gut erklären, dass er Klinsmanns Aufmerksamkeit auf sich zog. Davor war Löw ein Trainer wie viele.

Löw und Ballack prägen diese deutsche Mannschaft. In der umgerüsteten Turnhalle in Tenero haben in den Wochen der EM fast alle Nationalspieler auf dem Podium gesessen. Jeden Tag fanden sich 200 Journalisten ein, mehrere Fernsehsender übertrugen die Pressekonferenzen live. Miroslav Klose war da, Jens Lehmann, Christoph Metzelder, der bärtige Botschafter und Patriotismusdebattenerfinder der WM 2006, auch Philipp Lahm und Arne Friedrich, alle gestandene Nationalspieler. Wann immer aber Löw oder Ballack kamen, gab es etwas. Ihre Aussagen haben Gehalt und Strahlkraft. Löw, weil er authentisch, klar und überzeugt spricht, Ballack, weil er keine Angst hat. Nicht mal vor einem Konflikt mit dem Bundestrainer.

Nach dem Viertelfinale wurde verschärft über einen Machtkampf zwischen Löw und Ballack spekuliert. Der Bundestrainer hatte die Mannschaft für das Spiel gegen Portugal neu zusammengestellt. Er schob Ballack wieder nach vorne, um seine offensiven Stärken besser zur Geltung zu bringen, und stellte ihm zwei defensive Mittelfeldspieler in den Rücken, die sich um die Stabilität kümmerten. Das System funktionierte perfekt. Nur: Wer hatte es erfunden? Der Bundestrainer? Die Mannschaft? Ballack? Ist Joachim Löw am Ende nur Bundestrainer von Ballacks Gnaden? „Er übt einen sehr positiven Einfluss aus“, sagte Löw. „Er ist derjenige, der immer in die Verantwortung geht.“ Andererseits antwortete er einmal auf die Frage, wie wertvoll Michael Ballack für die Mannschaft sei, dass der Kapitän eine fantastische Laufleistung geboten habe. Das ist so, als würde man einen Ferrari für seine formschönen Türgriffe loben.

Ballack verkündete vor dem Halbfinale in einem Zeitungsinterview, dass das 4-5-1-System aus dem Spiel gegen Portugal beibehalten werde. Da hatte Löw sich öffentlich noch gar nicht festgelegt. Und in Sachen Urheberschaft blieb Ballack bewusst vage, als wollte er die Machtfrage bewusst noch ein bisschen offen halten. Einmal hieß es, beide Seiten, Mannschaft und Bundestrainer, hätten zur selben Zeit dieselbe Idee gehabt. Erst kurz vor dem Finale gab Michael Ballack öffentlich zu: Der Bundestrainer war’s.

Vielleicht war das Joachim Löws größte Leistung: Dass er eine gravierende taktische Änderung vorgenommen hat und Michael Ballack das Gefühl gab, er habe nur dessen Willen vollstreckt.

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