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Michael Zorc (r., im Bild mit Trainer Jürgen Klopp) feiert am Samstag seinen 50. Geburtstag. Er ist mit 463 Bundesligaeinsätzen Rekordspieler von Borussia Dortmund und seit 1998 Sportdirektor beim BVB.

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Michael Zorc im Interview: "Im Fußball trifft man sich immer 20 Mal"

Dortmunds Manager Michael Zorc spricht über Polemik, Glück und Zufall in seiner Branche – den Titelanspruch von Borussia Dortmund und das Duell mit den Bayern.

Herr Zorc, wir würden Sie gerne mit zwei Zitaten konfrontieren. Das erste lautet: „Er würde woanders nicht mal die Parkschranke öffnen.“ Das zweite: „Ich fürchte, dass er an seinem Stuhl klebt, weil er ahnt, dass er woanders so schnell nichts kriegt.“ Haben Sie eine Ahnung, wer gemeint ist?
Nein, und selbst wenn ich eine Ahnung hätte, würde ich sie nicht äußern. Dazu sind diese Sätze zu despektierlich.

Das erste Zitat ist über Klaus Allofs, das zweite über Max Eberl.

Da sehen Sie, was von solchen Urteilen zu halten ist. Der eine, Klaus Allofs, hat seine Qualität als Manager über ein Jahrzehnt nachgewiesen; der andere, Max Eberl, macht gerade einen Riesenjob.

Man könnte solche Urteile vermutlich auch über Sie finden.

Ich arbeite seit fast 15 Jahren in diesem Job, natürlich gab es Phasen, in denen ich Fehler gemacht habe. Und weil das ein öffentlicher Beruf ist, musst du auch aushalten, wenn du in der Kritik stehst. Problematisch wird es, wenn es persönlich wird.

Wie hält man das aus?

Man darf diese Kritik nicht oder zumindest nicht komplett an sich heranlassen. Willst du dich sonst von der Brücke stürzen? Trotzdem war diese Zeit eine wichtige Erfahrung. Sie hilft mir auch jetzt, da es in die andere Richtung ausschlägt: Ich bin nicht so naiv, all das für wahr zu halten, was gerade über mich geschrieben wird. Beide Extreme sind nicht gut.

Die Lobhudeleien führen also nicht dazu, dass Sie sich für den Schärfsten halten?

Nein, das habe ich noch nie getan. Dazu bin ich zu sehr Pragmatiker und Realist. Schon als Spieler wusste ich ganz gut, was ich kann und was nicht.

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Unterscheiden Sie zwischen polemischer und aufbauender Kritik?

Aufbauende Kritik habe ich von Ihrer Branche ehrlich gesagt selten erfahren. Polemik schon eher. Natürlich mache ich da einen Unterschied. Es wäre ja arrogant zu sagen: Was andere von meiner Arbeit denken, interessiert mich nicht.

Wie viel Zweifel darf man sich gerade in kritischen Zeiten erlauben?

Zweifel sind wichtig – weil sie ein Antrieb zur Reflexion sind. Es gehört dazu, sich zu fragen: Was ist falsch gelaufen? Was hätte ich anders machen können? Aber das ist natürlich nichts, was ich mit der Boulevardpresse besprechen würde.

Haben Sie sich mal Rat bei einem Ihrer Managerkollegen geholt?

Das nicht, aber als die Kritik besonders heftig war, habe ich mit früheren Kollegen aus meiner Zeit als Spieler gesprochen. Das hat mir sehr geholfen. Wenn du in deinem Job gefangen bist, und die Einschläge kommen von links und rechts, von vorne und hinten, dann musst du aufpassen, nicht den Überblick zu verlieren. Da hilft es, wenn dir jemand sagt, wie das Ganze von außen wahrgenommen wird.

Welche Kollegen waren das?

Das möchte ich nicht sagen. Aber es waren Leute, von denen ich wusste: Die wollen dir nichts Böses.

Gab es mal einen Punkt, an dem Sie überlegt haben, die Brocken hinzuwerfen?

Nein, schon als Spieler lief es bei mir eher über die Mentalität. Freiwillig hinzuschmeißen und dann als Gescheiterter zu gehen – das wollte ich nicht. Aber ich habe mir natürlich Gedanken gemacht. Ich musste mich ja mit dem Fall auseinandersetzen, dass ein anderer für mich entscheidet. Hans-Joachim Watzke …

… der Geschäftsführer des BVB …

… hätte mich nicht einmal entlassen müssen. Er hätte einfach meinen Vertrag nicht verlängern müssen. Ich hatte damals nur Jahresverträge. Aber er hat gegen alle Kritiker auf mich gesetzt. Und ich glaube, wir sind alle ganz gut damit gefahren.

Jetzt haben Sie keinen Jahresvertrag mehr?

Jetzt habe ich einen Vertrag bis 2016.

"Sportdirektor lernst du ja gar nicht an der Uni"

Das wär ein Ding. Kann Borussia Dortmund den Titel erneut verteidigen? Manager Michael Zorc glaubt nicht recht dran. Foto: dpa
Das wär ein Ding. Kann Borussia Dortmund den Titel erneut verteidigen? Manager Michael Zorc glaubt nicht recht dran. Foto: dpa

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Wenn Sie heute auf Ihre Anfänge als Manager zurückblicken: Wird Ihnen da manchmal noch ein bisschen schwindelig?

Ab und an war das schon ein Schleuderkurs. Sportdirektor lernst du ja nicht an der Uni. Grundsätzlich glaube ich, dass in unserem sehr speziellen Job Erfahrung ein sehr wichtiges Gut ist. Du wirst mit den Jahren besser. Wissen Sie, was ich an diesem Beruf so faszinierend finde? Es gibt doch diesen Spruch: Man trifft sich im Leben immer zwei Mal. Im Fußball trifft man sich 20 Mal. Du hast immer wieder mit denselben Leuten zu tun. Deshalb musst du versuchen, die Dinge sauber und ordentlich abzuwickeln.

Inwieweit hängt Ihr Erfolg von Glück ab?

Natürlich spielt Glück auch eine Rolle. Wir handeln immer nur mit Wahrscheinlichkeiten. Du kannst nie sagen: Ich hole jetzt Spieler XY, und der wird definitiv einschlagen. So funktioniert das nicht. Wir können nur versuchen, das Risiko zu minimieren und die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass es funktioniert.

Dazu gibt es verschiedene Methoden: Bevor man einen Spieler verpflichtet, lässt man ihn von mehreren Leuten beobachten …

… richtig, du schaust ihn dir in verschiedenen Wettbewerben an, erkundigst dich über seine Vita, sein Umfeld, sprichst mit ihm persönlich. Und am Ende ist es immer noch ein Gefühl, das den Ausschlag gibt. Das Bauchgefühl ist ganz wichtig.

Haben Sie all das auch bei Shinji Kagawa gemacht, den Sie für 350 000 Euro geholt haben und der jetzt für 15 Millionen nach Manchester gewechselt ist? Oder war das so ein Glücksfall?

Zum Teil mit Sicherheit. Wir haben damals einen Hinweis bekommen, dass in der zweiten japanischen Liga ein hochtalentierter Junge spielt. Man muss allerdings sagen, dass nicht nur wir diesen Hinweis erhalten hatten. Aber wir haben uns diesen Jungen dann intensiv angeschaut.

Vor Ort?

Erst nur auf DVD. Da habe ich gedacht: „Boah, wie der die Dinger reinhaut! Diese Schusstechnik!“ Natürlich war das nur die zweite japanische Liga und das Zweikampfverhalten ein bisschen basketballähnlich; aber ein Schuss aus 16 Metern ist ein Schuss aus 16 Metern. Shinji hat 37 Saisontore erzielt, seine Mannschaft ist aufgestiegen, da haben wir gesagt: Lass uns den mal in der ersten Liga anschauen. Ich habe unsere Jungs dann fast im Wochenrhythmus nach Japan geschickt. Wir waren bestimmt acht bis zehn Mal da.

Und danach waren Sie sich sicher, dass er sich so entwickelt?

Die Eindrücke waren nicht so, dass man gesagt hätte: Den musst du jetzt unbedingt holen. Zumal er anfangs noch verletzt war. Aber man konnte schon erkennen, dass er auch in der Bundesliga Tore schießen würde. Seine vermeintliche Schwäche, die fehlende Robustheit, hat sich letztlich sogar als Vorteil herausgestellt. Shinjis Drehungen sind für einen normalen Mitteleuropäer schwer zu verteidigen, die sind auch nicht zu imitieren. Letztlich standen so viele Ampeln auf Grün, dass wir gesagt haben: Das machen wir.

Wer trifft dann die letzte Entscheidung?

Am Ende geht das über meinen Tisch. Aber ich würde nie einen Spieler gegen den Willen des Trainers verpflichten. Das ergibt keinen Sinn. Das Verhältnis zu Jürgen Klopp ist auch so eng, dass man bei vielen Transfers gar nicht mehr sagen kann, wer den angestoßen hat. Es gibt auch Transfers, bei denen der Impuls aus unserer Scoutingabteilung kommt. Und es gibt Transfers wie den von Marco Reus – da brauchst du keinen Impuls. Da musst du nur klären, ob das finanziell machbar ist.

Sie sind jetzt zweimal Meister geworden, haben das Double gewonnen. Wo kann sich der BVB noch verbessern?

Was soll denn noch besser werden? Wir haben die Bayern im Pokal 5:2 geschlagen und in der Bundesliga 81 Punkte geholt – da kannst du doch nicht sagen: Ich setze da noch einen drauf. Besser geht es nicht. Abgesehen von der Champions League.

Und trotzdem halten Sie im Duell mit den Bayern an Ihrem Understatement fest?

Für uns ist das kein Understatement. Wenn wir irgendwann ähnliche Voraussetzungen haben wie die Bayern, wenn wir auch mehr als 300 Millionen Euro Umsatz machen und unseren Spielern 120 Millionen Euro Gehalt zahlen können, dann sagen wir Ihnen jedes Jahr am 1. Juli: „Wir wollen Deutscher Meister werden.“ Da können Sie uns drauf festnageln! Vorher ist das unrealistisch. Es besteht nun mal ein enger Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Kraft und sportlichem Erfolg. Wir haben das zwei Jahre lang durch eine Extremleistung im sportlichen Bereich außer Kraft setzen können. In der Wirtschaft würde man sagen: Wir haben zwei Jahre lang absolut outperformed. Aber das ist kein Automatismus. Wir starten nun mal nicht mit den acht Punkten Vorsprung, die wir in der letzten Saison vor den Bayern hatten. Wir starten bei null.

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