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Vor einer Woche war der Schwimm-Coach noch bei den Olympischen Spielen, jetzt steht er wegen Missbrauchsvorwürfen vor Gericht.

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Missbrauchs-Vorwürfe: Olympia-Trainer vor Gericht – wer wusste was?

Zwischen 2004 und 2006 soll sich der Schwimm-Coach an einer von ihm betreuten, damals nicht volljährigen Schwimmerin vergangen haben. Der Deutsche Schwimmverband (DSV) wusste von nichts.

20 Journalisten warteten, mehrere Fernsehkameras waren aufgebaut, es war etwas los gestern beim Amtsgericht Kiel. Das lag am Angeklagten: Der Mann, der unter Blitzlichtgewitter den Verhandlungssaal betrat, war vor gut einer Woche noch bei den Olympischen Spielen präsent. Da gehörte er zum Trainerstab der deutschen Schwimmer, er ist zugleich Heimtrainer deutscher Weltklasseschwimmer. Die Anklage lautet: sexueller Missbrauch einer Minderjährigen. Zwischen 2004 und 2006 soll sich der Coach an einer von ihm betreuten, damals nicht volljährigen Schwimmerin vergangen haben. In jenem Zeitraum arbeitete er für einen Verein in Kiel. Vor Prozessbeginn hatte sein Verteidiger die Vorwürfe weitgehend zurückgewiesen.

Der Deutsche Schwimmverband (DSV) steht nun ziemlich dumm da, unabhängig vom Urteil. „Wir haben nichts gewusst“, sagte DSV-Generalsekretär Jürgen Fornoff. „Weder vom Trainer noch vom Landesverband Schleswig-Holstein noch von seinem damaligen Verein gab es Informationen.“ Sonst „hätten wir ihn erst mal von seinen Aufgaben entbunden“, unabhängig vom Ausgang des Prozesses, der auf Donnerstag vertagt wurde. Für Fornoff ist das Verhalten des Trainers „so gravierend, dass wir sehr genau prüfen, was zu tun ist“. Wenn der Deutsche Olympische Sportbund von den Vorwürfen gewusst hätte, wäre der Coach nie für London nominiert worden.

Die junge Frau hatte 2009 Anzeige erstattet, die Kieler Staatsanwaltschaft ermittelte von 2010 an und erhob 2011 Anklage, trotzdem will niemand etwas gewusst haben. Nicht mal Steffen Weber, obwohl er damals Technischer Leiter des Kieler Vereins war. Weber, jetzt Vizepräsident des Landesverbands Schleswig-Holstein, sagte den „Kieler Nachrichten“: „Mich hat die Nachricht vom Hocker gehauen. Ich habe den Eindruck, dass es sich um eine Rachekampagne handelt.“ Schwer zu glauben jedoch, dass das direkte Umfeld nichts gewusst hat. Niemand bekam etwas von den Ermittlungen mit? Andererseits ist es schwer erklärbar, dass die Schwimmerin schweigend zusieht, wie der Mann, den sie drei Jahre zuvor angezeigt hat, für den Trainerstab bei Olympia nominiert wird und in London am Beckenrand steht. Und ihre Eltern? Die stört das alles auch nicht?

2008 wechselte der Trainer zu Bayer Wuppertal. „Wir haben von dem Prozess am Sonntag erfahren“, sagte Oliver Nitschke, Pressesprecher des Vereins, dem Tagesspiegel. Der Coach ist Angestellter des Vereins. Weder Horst Melzer, langjähriger Weltklasse-Trainer in Essen und in der Szene vernetzt, noch Dirk Lange, bis Jahresende 2011 Bundestrainer der Schwimmer, hatten je etwas von solchen Vorwürfen vernommen.

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