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Sport: Mission mit Vorlauf

Bei den deutschen Meisterschaften zeigt sich: Franziska van Almsick hat gelernt. Sie quält sich für ein einziges Ziel: den Olympiasieg

Berlin – Fünf Minuten vor dem Rennen machte Franziska van Almsick sogar noch einen Witz. In die Spannung des Zeltes, in dem acht Schwimmerinnen auf den Endlauf über 200 m Freistil warteten, sagte die Weltrekordlerin etwas Lustiges. „Ich habe sogar gelacht. Aber ich war die Einzige.“ Mit dem Witz wollte Franziska van Almsick die Spannung lösen, die alle befallen hatte. Und am stärksten hatte diese Spannung sie selbst befallen. „Los, Mädels, in fünf Minuten haben wir Feierabend“, hatte sie auch noch gesagt. „Ich war doch die Älteste, ich wollte die anderen aufmuntern.“ Doch fünf Minuten später würde sie wissen, ob sie grandios gescheitert war, seelisch zerbrochen und in Balkenüberschriften als tragische Figur gehandelt. Gescheitert bei den deutschen Schwimm-Meisterschaften in Berlin, bei der Qualifikation zu den Olympischen Spielen.

Franziska van Almsick scheiterte nicht. Sie stieg als klare Siegerin aus dem Wasser, deutete kurz an, dass sie weiche Knie hatte, und fiel dann ihrer Teamkollegin Janine Pietsch um den Hals. 1:58,04 Minuten, Platz zwei in der aktuellen Weltrangliste – wieder einer dieser Auftritte von van Almsick, in denen sie dem Druck standhielt.

Aber diesen Druck empfand sie als barbarisch. „Es war heute ein Psychoterror-Tag. Ich hoffte die ganze Zeit, dass er schnell vorbeigeht.“ Die ganzen Bilder liefen noch einmal vor ihren Augen ab: die Quälerei im Training, die Angst vor dem Scheitern, die ganze Heimtücke eines festes Termins. „Man wird so wütend. Da hat man einen einzigen Tag, an dem alles klappen muss. Man trainiert auf diesen Termin hin.“ Wenn’s nicht klappt, gibt es keine zweite Chance. „Man kann mittags nicht schlafen, auch wenn man todmüde ist“, sagte Franziska van Almsick. Mit jedem Wort verändert sich der Charakter ihrer Sätze. Aus der Situationsbeschreibung wird eine Anklage. Aber die klare Stoßrichtung fehlt. Wen konkret soll sie anklagen? Die Umstände sind halt so. Das macht alles noch viel schwieriger. Man kann seinen Frust nicht an jemandem abarbeiten.

Und zeitweise klang es auch so, als wäre Franziska van Almsick wütend auf sich selber. Weil sie auch nach zwölf Jahren Höchstleistungssport mit diesem Druck nicht umgehen kann. Im Gegenteil: Er wird immer schlimmer. „Wenn man noch jung ist und unbeschwert antreten kann, ist alles viel einfacher.“ Aber eine Britta Steffen scheitert auch schon an dem Druck, mit 21 Jahren. Sie galt als große Konkurrentin von van Almsick, sie scheiterte kläglich an der Olympianorm. „Mir tut es unendlich weh, was mit Britta passiert ist, weil sie viel mehr draufhat“, sagte van Almsick.

Nur ein Punkt hat sich gegenüber früheren Jahren geändert. Der Druck, den sie spürt, kommt nahezu ausschließlich von ihr selber. Die Mission Olympia ist schon lange die ganz persönliche Geschichte der Franziska van Almsick. Die ganzen medialen und öffentlichen Aufgeregtheiten um das Thema Olympiasieg nimmt die 26-Jährige zur Kenntnis.

Aber die Zeiten, in denen sie sich von diesem Druck vereinnahmen ließ, sind vorbei. „Ich muss niemandem mehr etwas beweisen, ich schwimme nur für mich“, sagt sie. Der Satz ist alt. Aber früher versuchte sie sich mit dieser Aussage mit einer gewissen Hilflosigkeit zu schützen, spätestens seit der EM 2002 meint sie ihn ernst. Die fast irrwitzigen Emotionen, die sie bei der EM 2002 in Berlin durchlebte, „hat sie erst nach Monaten verarbeitet“ (Chef-Bundestrainer Ralf Beckmann). Sie hätte abtreten können, auf dem emotionalen Höhepunkt ihrer Karriere. Aber sie wollte noch mehr. Sportlich noch. Den Olympiasieg. Aber den wollte sie nun ganz allein für sich. Wenn sie in Athen scheitert, dann würde sie ganz allein an sich scheitern, an ihren Mängeln, an ihren Versäumnissen. Deshalb trainiert sie vor Athen so „hart wie noch nie“ (Beckmann).

Nur in ihrem engeren Umfeld gingen einige wohl schlicht davon aus, dass sie in Athen starten würde. Sie fragten nach Eintrittskarten, als wäre das Ganze nur noch ein organisatorisches Problem. Jetzt hat die 26-Jährige zumindest in diesem Punkt Sicherheit. „Ich kann nun meine Mutter anrufen und sagen: Du wolltest doch nach Athen. Das geht klar.“

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