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Sport: Mit allen Wassern

Internationale Schwimm-Meisterschaften der Behinderten in Berlin mit Rekordbeteiligung

Berlin - Wenn man manche Sportler so sieht, könnte man Sorge haben, dass sie sich überhaupt über Wasser halten können. An den Beckenrand werden da mitunter Leute im Rollstuhl mit Amputationen an allen vier Gliedmaßen geschoben, die an Land eigentlich nicht viel mehr können, „als mit den Ohren zu wackeln“, wie sie selbst über sich sagen. Im Wasser aber, da tauchen sie ein in eine andere Welt und lassen all das hinter sich. Es sind schwerstbehinderte Athleten, die vom 24. bis 27. Mai in der Schwimm- und Sprunghalle Europapark in Pankow starten – aber auch Menschen mit kleinerem Handicap. 420 Sportler aus 28 Nationen kommen jetzt zu den Internationalen deutschen Meisterschaften im Schwimmen der Behinderten an der Paul-Heyse-Straße 26.

Es sind Leistungssportler etwa aus Brasilien, Usbekistan, Ghana, Kanada und der Slowakei. Korea und Singapur schicken erstmals Athleten zu den Titelkämpfen, an denen dieses Jahr so viele Menschen teilnehmen wie nie zuvor. Kirsten Bruhn ist da schon ein alter Hase. Die heute 37 Jahre alte dutzendfache Paralympics-Medaillengewinnerin, Welt- und Europarekordhalterin aus Wasbek (Schleswig-Holstein) wurde 1991 bei einem Motorradunfall aus dem bisherigen Leben geschleudert. Geschwommen ist das jüngste von fünf Kindern einer wassersportbegeisterten Familie schon immer. Nach der inkompletten Querschnittlähmung „habe ich den Sport zunächst vor allem zur Eigenmobilisation betrieben“, sagt die Sozialversicherungsfachangestellte. Heute stellt die AOK das Mitglied im Nationalteam dank Unterstützung der Deutschen Sporthilfe bei vollem Gehalt zur Hälfte vom Job fürs Training frei – auch für Bruhn ist der Wettkampf eine Art Warmschwimmen für die Paralympics 2008 in Peking. Und mehr als das. „Ich bin ein ganz schönes Nervenbündel, denn ab Freitag entscheidet sich für uns, wer dieses Jahr im Nationalkader bleibt.“

In Berlin tritt die internationale Konkurrenz aus 101 Vereinen bereits zum achten Mal an. Bei freiem Eintritt lohnt der Besuch vor allem Freitag, Samstag und Sonntag bei den Finals ab 15.30 Uhr. Dann kann man miterleben, wie die blinden Schwimmer mit einem weichen Tennisball an einer langen Stange angetippt werden, wenn sie zur Wende ansetzen müssen. Oder beobachten, wie die rund 60 behinderten und nichtbehinderten ehrenamtlichen Helfer Rollstuhl und Prothesen zum Ausstieg an die andere Beckenseite schaffen.

Bei den Sommerparalympics 2004 in Athen erregten sich einige Medien darüber, dass es wegen der vielen Starterklassen je nach Behinderungsgrad beispielsweise zehn Goldmedaillengewinner über 100 Meter Freistil gibt. Das ist bei den Meisterschaften in Berlin anders. Im Finale starten alle gemeinsam. Ein Punktesystem soll einen gerechten Vergleich trotz ungleicher körperlicher Voraussetzungen ermöglichen. „Das kann nie ganz gerecht sein“, sagt Verbandstrainer Matthias Ulm vom Bundesstützpunkt Schwimmen im Sportforum Hohenschönhausen. Doch „Sport ist per se ungerecht“, meint er, weil kein Mensch sei wie der andere.

Kirsten Bruhn, die 2004 und 2005 zur Sportlerin des Jahres mit Handicap gewählt wurde und 2006 für den Laureus Sport Award in Barcelona nominiert war, freut sich schon. Die Vegetarierin wird sich gewiss an der einen oder anderen Party in den drei Athletenhotels beteiligen – und auch mal aufrecht an Krücken laufen. Und nach den Wettkämpfen einem ebenfalls geschwindigkeitsfixierten Hobby frönen: Sie fährt gern schnell Auto.

Annette Kögel

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