zum Hauptinhalt

Sport: Mittendrin und nicht dabei

Miyazaki. Oliver Kahn kennt die Situation: „Ich habe meinen Geburtstag in den letzten zehn Jahren auch nur dreimal zu Hause gefeiert.

Miyazaki. Oliver Kahn kennt die Situation: „Ich habe meinen Geburtstag in den letzten zehn Jahren auch nur dreimal zu Hause gefeiert.“ Als Jörg Butt, der Wert darauf legt, nur Jörg Butt gerufen zu werden und nicht Hans-Jörg, wie häufig zu hören und zu lesen ist, vor kurzem 28 geworden ist, hat er den Tag ebenfalls im Kreis der Fußball-Nationalmannschaft verbracht. Sonst aber haben Kahn und Butt wenig gemeinsam. Oliver Kahn ist die Nummer eins - auf dem Platz und auch sonst; Jörg Butt ist die Nummer 23 – auf dem Platz und auch sonst.

Realistisch betrachtet hat der Leverkusener keine Chance, bei diesem WM-Turnier zum Einsatz zu kommen. Er ist der dritte Torhüter hinter Kahn und dem Dortmunder Jens Lehmann, also die Reserve der Reserve, sozusagen die personifizierte Vorsichtsmaßnahme. Wenn Journalisten ihn in Japan auf diese Situation ansprechen, hat Butt schon mal das Gefühl, „als wenn das eine Strafe wäre“, bei der WM dabei zu sein. Der Bremer Frank Rost, sein ärgster Konkurrent um den Platz im Kader, wäre vermutlich froh, an Butts Stelle zu sein. Er sehe das wie ein normales Trainingslager, sagt Butt. „Ich mache das für mich.“ Seit 1970 ist bei einer WM kein deutscher Reservetorhüter mehr zum Einsatz gekommen. Der letzte war Horst Wolter, der in Mexiko im Spiel um Platz drei gegen Uruguay anstelle von Sepp Maier spielen durfte. Das so genannte kleine Finale ist fast traditionell den Reservisten vorbehalten. So war es auch 1934, als Hans Jakob für Willibald Kreß spielte, und 1958 mit Heinz Kwiatkowski für Fritz Herkenrath im Tor. Kwiatkowski war der einzige deutsche Ersatztorhüter, der auch bei einem normalen Spiel zum Einsatz kam: 1954 in der Vorrunde gegen Ungarn ersetzte er Toni Turek, wobei sich diese Partie letztlich als wenig normal herausstellte. Die Deutschen verloren 3:8, und erst nach dem Titelgewinn verstanden die aufgebrachten Anhänger der Nationalelf, dass Bundestrainer Sepp Herberger die favorisierten Ungarn mit seiner Reservemannschaft hinters Licht geführt hatte. Der bedauernswerte Kwiatkowski aber kassierte bei seinen beiden WM-Einsätzen 14 Tore.

Rudi Völler, der Teamchef der deutschen Nationalelf, hat immer wieder auf die Erfahrung verwiesen, dass die Mannschaft, die zu Beginn eines Turniers spielt, nur selten die ist, die es auch beendet. Eine Position aber ist von Wechselspielen per se ausgeschlossen: die des Torhüters. Das macht es für die Reservisten besonders schwer. Uli Stein wurde 1986 mit dieser Situation ebenso wenig fertig wie Hans Tilkowski bei der WM 1962 in Chile. Als Tilkowski erfuhr, dass an seiner Stelle der international unerfahrene Wolfgang Fahrian spielen würde, zertrümmerte er das Mobiliar seines Zimmers im Mannschaftshotel. Stein beschimpfte Teamchef Franz Beckenbauer als Suppenkasper und musste daraufhin nach Hause fliegen.

Derartige Eskapaden sind von Jörg Butt nicht zu erwarten. Möglicherweise hat genau das den Ausschlag für ihn und gegen Frank Rost gegeben. Der Ersatztorhüter muss im Notfall einspringen - und sonst seinen Mund halten. 1994 führte dies zu der paradoxen Situation, dass Berti Vogts bei der WM in den USA mit Andreas Köpke den besseren Torhüter auf die Bank setzte und stattdessen Bodo Illgner spielte. Vogts wusste, dass Köpke nicht mucken würde. Bei Illgner wusste er das nicht.

Die drei Torhüter der Nationalmannschaft trainieren zwar Tag für Tag miteinander, persönliche Kontakte außerhalb des Platzes sind jedoch eher die Ausnahme: Lehmann mag Kahn nicht, Butt Lehmann nicht, nur Kahn ist es vermutlich völlig egal, wer hinter ihm um Platz zwei rangelt. „Es ist nicht so, dass man einen Krieg führt“, sagt Jörg Butt. „Wir haben nicht den Ehrgeiz, die anderen zu verletzen.“ Das mag daran liegen, dass das Auftreten bei dieser Weltmeisterschaft zugleich die Bewerbung für das nächste große Turnier ist. Sepp Maier war 1966 in England auch nur dritter Torhüter, danach bestritt er drei Weltmeisterschaften als Nummer eins. Und auch Oliver Kahn hat sich von der Nummer drei (USA 1994) über die Nummer zwei (Frankreich 1998) zum Stammtorhüter hochgearbeitet. Vom Alter her könnte Butt selbst das übernächste WM-Turnier noch bestreiten. Er wäre dann 36. „Das Problem ist, dass wir in Deutschland zu viele Torhüter haben, die auf einem Level sind“, sagt Butt. Mag sein. Das eigentliche Problem aber ist Oliver Kahn. Stefan Hermanns

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false