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Motorsport: Silverstone: Opfer einer Schlammschlacht

Die Zukunft ist unklar, auch das Erbe verblasst: Die Formel 1 trägt heute wohl das letzte Rennen in Silverstone aus, ihrem Geburtsort. Die Hintergründe sind natürlich politischer Art.

„Silverstone – Home of British Motor Racing“ – so empfängt die Strecke die Formel-1-Fans. Aber Silverstone ist nicht nur die Heimat des britischen Rennsports, Silverstone ist auch der Geburtsort der modernen Formel 1. Am 13. Mai 1950 fand hier der erste WM-Lauf der Formel-1-Geschichte statt, das erste Rennen der damals nur aus sieben Läufen bestehenden Saison gewann Giuseppe Farina auf Alfa Romeo. Mit den ebenfalls schon in der Debütsaison befahrenen Strecken in Monaco, Monza und Spa bildet der Kurs sozusagen den Grand Slam der Formel 1. Jetzt stellt sich die Frage: Wird der Sieger 2009 auch der letzte Grand-Prix-Sieger in Silverstone sein?

Geplant ist es zumindest so, denn während sich die Teams und der Automobil-Weltverband (Fia) um die Zukunft der Rennserie streiten, ist für Formel-1-Chefvermarkter Bernie Ecclestone schon klar: Sie soll im gut 120 Kilometer weiter nördlich gelegenen Donington stattfinden. Dorthin vergab er den Grand Prix ab 2010, sehr zum Leidwesen der meisten Beteiligten.

Denn die Atmosphäre in Silverstone ist bis heute unvergleichlich. Die Fans zelebrieren das Rennen. Die alten, manchmal schon ein bisschen angeschlagen wirkenden Tribünen sind bis auf den letzten Platz vollgepackt, die Union Jacks wehen und Applaus wie im Fußballstadion brandet auf, wenn ein englischer Pilot Bestzeit fährt. Aber das alles hat auf den bevorstehenden Abschied von der Institution Silverstone keine Auswirkungen.

Es ist nicht frei von Ironie, dass der Machtkampf zwischen den Teams und dem Fia-Präsidenten Max Mosley ausgerechnet hier eskaliert ist. Denn wie so vieles in der Formel 1 hat auch die Causa Silverstone vor allem politische Hintergründe. Ecclestone mag den Kurs auf dem ehemaligen Militärflugplatz gut 110 Kilometer nördlich von London nicht, er hasst die seiner Meinung nach fehlende Infrastruktur und er mag vor allem die Leute vom British Racing Drivers Club nicht, die hinter Silverstone stehen. Für ihn repräsentiert Silverstone die Vergangenheit, „nur dafür gut, dass junge Leute erleben, wie Motorsport früher mal war“. Deshalb will er lieber nach Donington, auf eine Strecke, auf der erst einmal ein Grand Prix stattfand, allerdings ein denkwürdiger: In der Regenschlacht von 1993 deklassierte Ayrton Senna das gesamte Feld.

Mit seinen Ansichten zu Silverstone steht Ecclestone allerdings ziemlich allein. Spätestens seit die Straßen rund um den Kurs so gut ausgebaut sind, dass sich das traditionelle Verkehrschaos einigermaßen in Grenzen hält, könnten die meisten mit Silverstone weiter ganz gut leben. „Für mich ist hier alles in Ordnung, die Strecke ist toll – ich weiß gar nicht, was die ganze Kritik immer soll“, sagt etwa Nick Heidfeld, und gerade die britischen Fahrer wie Lewis Hamilton und Jenson Button wünschen sich nichts sehnlicher, als das Rennen hier zu behalten.

Das Streckenlayout ist auch nach vielen Umbauten und Verlangsamungen durch Schikanen an vielen Stellen noch äußerst spektakulär. Die superschnelle Copse etwa, die Rechtskurve nach Start und Ziel, durch die die Piloten mit Tempo 270 jagen, oder das Geschlängel von Becketts, wo bei Tempo 220 bis 250 unvorstellbare Fliehkräfte wirken und den Fahrern ihr ganzes Können abverlangt wird.

In Silverstone ist jede Menge Formel-1-Geschichte geschrieben worden. 1973 löste Jody Scheckter, der in der Woodcote-Kurve auf die Wiese kam, eine spektakuläre Massenkarambolage mit insgesamt neun Fahrzeugen aus. 1994 und 1998 gab es Diskussionen um Michael Schumacher, einmal nach seiner Disqualifikation und Bestrafung wegen Missachtung der schwarzen Flagge, einmal nach seinem umstrittenen Sieg in der Boxengasse. 1999 hatte er dort seinen spektakulären Unfall. In der ersten Runde versagten am Ferrari des Rekord-Champions in der Stowe-Kurve die Bremsen, Schumacher schlug mit über 100 km/h in die Bande ein und brach sich das rechte Bein.

Im Jahr 2000, beim einzigen Silverstone-Rennen im April, erwartete die Zuschauer eine Schlammschlacht. Tagelanger Regen vor dem Grand Prix hatte die Zufahrtswege unpassierbar gemacht. Autos kamen nicht mehr von den Parkplätzen weg, Fans kamen zu spät zum Rennen. Das löste endgültig eine ernsthafte Diskussion um Silverstone als Austragungsort aus – verstärkt noch durch einen Vorfall 2003, als ein verwirrter irischer Priester namens Neil Horan die Schutzzäune durchbrach und mit einem Plakat bewaffnet auf die Strecke rannte. Dabei wählte sich der Störenfried ausgerechnet die Hangar-Gerade aus, auf der die Piloten knapp 300 km/h erreichen – und Ecclestone hatte mit „fehlender Sicherheit“ wieder ein Argument mehr gegen den Kurs.

Doch noch scheint nicht alles verloren für Silverstone. Insider haben große Zweifel daran, dass der Umbau in Donington rechtzeitig beendet wird. Auch Fia-Präsident Max Mosley macht Hoffnung. „Die Chancen, dass es nächstes Jahr keinen britischen Grand Prix geben wird, sind sehr gering“, sagte er, „und meine persönliche Meinung ist, dass es höchstwahrscheinlich ist, dass er wieder in Silverstone stattfinden wird.“ Allerdings betonte Mosley, dass diese Entscheidung nicht bei ihm liege, sondern bei Bernie Ecclestone. Der klang im Laufe des Wochenendes schon ein wenig versöhnlicher: Donington müsse die getroffene Vereinbarung erfüllen. „Und wenn sie das nicht können, dann werden wir sicherlich nach Silverstone zurückkommen.“

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