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Sport: Mythos mit Makeln

Die Ruderer des Deutschland-Achters rätseln über ihre Leistungseinbrüche

Berlin - Thorsten Engelmann parkt gleich neben dem Eingang des Ruderclubs Tegel. In einer Stunde wird er im Klubhaus geehrt, zusammen mit anderen Athleten des Vereins, die bei der WM in Gifu, Japan, Medaillen gewannen. Engelmann hat Bronze geholt mit dem Achter. Die Bezirksbürgermeisterin ist da, es gibt Sekt und Grußworte, es wird feierlich. Ein hoch gewachsener Mann kommt auf Engelmann zu. „Gratuliere zu Bronze“, sagt er. Engelmann antwortet leise: „Ich wollte Gold.“

Später sitzt er auf der Terrasse des Klubhauses. Er redet wieder von Gold, aber diesmal sagt er auch noch: „Ich bin ratlos. Ich weiß nicht,wie wir jemals gewinnen wollen.“ Seit 2001 sitzt er im deutschen Achter.

Bronze, das ist jetzt ein paar Tage her. Aber Engelmann hat immer noch keine Antwort. Was ist diesmal schief gelaufen? Diese Frage lässt ihn nicht los. Es geht ja nicht nur um eine verpasste Goldmedaille. Es geht um ein Phänomen. Seit Jahren gewinnt der Deutschland-Achter den Gesamtweltcup, nur 2000 war das Boot nicht auf Platz eins. Aber bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen holen andere Gold. Der letzte WM-Sieg liegt zehn Jahre zurück. Bei der WM 2003 und bei Olympia 2004 gab es nicht einmal Medaillen. In diesem Jahr gewann der Achter zwölf von 13 Saisonrennen. Dann kam die WM.

Engelmann sagt: „Ich wüsste nicht, was wir hätten anders machen können.“ Nach etwas Nachdenken will er das jedoch nicht so stehen lassen und sagt: „Man könnte etwas an der Technik verbessern.“ Und: „Bei der Kraft sind wir nicht optimal.“ Außerdem: „Man muss sich etwas von den anderen Nationen abschauen.“ Was denn? Das weiß Engelmann nicht so genau. Damit es nicht so weitergeht. Letztlich redet der 24-Jährige nicht über Details, sondern über sein Gefühl von Ohnmacht. „Ich weiß es auch nicht“, sagt er schließlich.

Dieter Grahn, der Bundestrainer, hat doch schon so viel geändert gegenüber 2004. Der Achter hatte 2005 absolute Priorität. Vor dem Höhentrainingslager wollten die Ruderer zusätzliche Ergometer, Kosten: 20 000 Euro. Ein paar Tage später standen sie schon da. Andreas Penkner wurde neuer Schlagmann, die Besatzung wurde teilweise ausgetauscht. Das Höhentraining, die Regeneration danach, alles anders als 2004.

Doch das Selbstbewusstsein, das man aus zwölf Saisonsiegen ziehen könnte, fehlte. Es gab Streit bei der WM. „Wir haben uns dort noch über technische Dinge gestritten“, sagt Penkner, der Schlagmann. „Da hätte man früher sagen müssen. So läuft’s. Punkt.“

Vielleicht ist der Achter zu sehr verklärt, zu sehr Mythos, zu sehr Flaggschiff. Medien stürzen sich auf das Boot, der Verband nützt seine Popularität bei Sponsorengesprächen. Platz zwei bedeutet Niederlage. „Wir fokussieren uns zu sehr auf den Weltcup“, sagt Penkner. „Andere halten sich eher zurück, wir glauben, wir müssen da die Welt einreißen.“ Wegen dieses Erfolgsdrucks.

Vielleicht sind aber auch Leute wie Engelmann selbst verantwortlich für die Misere. Leute, die unbedingt dem Sieg hinterherrudern. Und die deshalb verkrampfen. Für Penkner ist das so. „Das Problem ist, dass ein paar Leute unbedingt Gold wollen. Aber Gold ist nicht planbar.“ Andererseits sagt Penkner selber: „Wir wollten Gold.“ Und Engelmann hat beobachtet, dass der Schlagmann wegen Platz drei „den Tränen nahe war“.

Auch Penkner hat keine plausible Erklärung für diese Bilanz. Er hat nur mehr emotionale Distanz zum Image des Bootes als Engelmann. Der flüchtet sich auf der Terrasse irgendwann verzweifelt in die Ironie: „Vielleicht sind wir einfach zu blöd zum Siegen.“

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