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Johan Sjöstrand ist bei Kiel Nachfolger von Torwart-Legende Thierry Omeyer.

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Mythos wird Mitbewerber: Die Dominanz des THW Kiel ist für ein Jahr vorbei

Der THW Kiel hat nicht nur den deutschen Handball in den vergangenen Jahren dominiert. Doch in dieser Saison ist der Abo-Meister nicht mehr so überlegen wie früher. Auch deshalb rechnen sich die Füchse im Spitzenspiel am Sonntag etwas aus.

Alfred Gislason verneint die Frage zwar, aber vielleicht muss man sich trotzdem ein wenig um ihn sorgen. In dieser Woche hat der Trainer des THW Kiel nämlich eine für seine Verhältnisse ungewöhnliche Entscheidung getroffen. Drei freie Tage am Stück räumte er seinen Spielern ein, mitten in der Saison – und kurz vor dem heutigen Bundesliga-Spitzenspiel gegen die Füchse Berlin (15 Uhr, Max-Schmeling-Halle und live bei Sport1). Ein Vergleichswert: Nach dem jüngsten Sieg der Kieler im DHB-Pokal hatte Gislason das Training am Morgen danach ganz großzügig von zehn auf elf verschoben. Wie passt das zusammen?

„Wir stehen im Achtelfinale der Champions League, sind im Pokal vertreten und nach Minuspunkten Tabellenführer“, sagt der Isländer, „die Mannschaft hatte sich eine Pause von mir verdient.“ Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass Gislason seinem Team solche Pausen zwangsläufig genehmigen muss. Zwar verantwortet der 54-Jährige weiter eine Auswahl erstklassiger Handballer, aber ganz so luxuriös wie in den vergangenen Jahren ist der Kader des Rekordmeisters dann doch nicht mehr bestückt. Nach dem Abgang der Welthandballer Thierry Omeyer und Daniel Narcisse und des langjährigen Kapitäns Marcus Ahlm befinden sich die Kieler in einem Jahr des Umbruchs, das hat sich auch bei der Konkurrenz herumgesprochen. „Kiel ist immer noch der Favorit“, sagt Füchse-Trainer Dagur Sigurdsson, „aber der Abstand ist nicht mehr so groß wie in den letzten Jahren.“ Da waren die Norddeutschen stets mehr als ein erfolgreiches Handball-Team, sie waren ein Mythos: die Triple-Saison 2011/12 beendeten die Kieler mit unfassbaren 68:0 Punkten. Und selbst wenn sie ausnahmsweise mal nicht ins Finale der Champions League einzogen, für die nationale Meisterschaft hat es nebenher noch immer gereicht. In dieser Saison haben die Kieler dagegen bereits zwei Niederlagen kassiert, unter anderem gegen eine mit A-Junioren aufgefüllte Mannschaft des SC Magdeburg. „Das wäre ihnen in den letzten Jahren garantiert nicht passiert“, sagt auch Füchse-Kapitän Iker Romero, „dafür waren sie viel zu clever und beständig.“

Am deutlichsten wird die Diskrepanz auf zwei Planstellen: im Tor und auf der Spielmacherposition. Schwedens Nationaltorhüter Johan Sjöstrand spielt zwar eine solide Saison, die meisten Schlagzeilen hat er allerdings nicht mit Handball fabriziert, sondern im Wettbüro. Sjöstrand gewann binnen weniger Tage mehrere hunderttausend Euro bei Pferderennen. Andererseits: Wer hatte ernsthaft erwartet, dass der Schwede Übertorhüter Omeyer gleichwertig ersetzen kann? Und bei den Feldspielern liegt die gesamte Verantwortung auf den Schultern von Kapitän und Regisseur Filip Jicha. Vorbei sind die Zeiten, in denen er nach 30 oder 40 Minuten durch ausgeruhte Kräfte wie Daniel Narcisse vertreten werden konnte. Zumindest für den Moment.

Denn eines haben sich die Kieler schon klar gemacht: Niemand braucht sich einzubilden, dass es so weitergeht. Mit Domagoj Duvnjak und Steffen Weinhold hat der Klub für die nächste Saison den besten Hamburger und einen der stärksten Flensburger verpflichtet – damit aus dem Mitbewerber wieder ein Mythos wird. Ist das überhaupt notwendig? „Ich würde sofort einen Punkt nehmen, wenn wir nicht spielen bräuchten“, sagt Dagur Sigurdsson. So viel Respekt hat die Konkurrenz dann doch noch.

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