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Feiern

© ddp

Nach dem deutschen Sieg: Berlin jubelt sich in den Ausnahmezustand

Die Fans beim Public Viewing zitterten bis zuletzt – und feierten dann das Wunder von Basel, den unerwarteten deutschen 3:2-Sieg über Portugal. Natürlich wieder auf dem Ku'damm. Dorthin strömten nach dem Schlusspfiff 14000 Menschen. Aber auch in Prenzlauer Berg, in Mitte oder in Treptow feierten Tausende. Es blieb weitgehend friedlich - bis auf ein paar Flaschenwürfe.

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„Ja, fahrt nur rum mit euren schwarzrotgoldenen Fähnchen. Nachher habt ihr dazu keinen Anlass mehr.“ Die vereinzelten Autofahrer, die gestern Abend vor dem Spiel der deutschen Mannschaft gegen Portugal schon hupend und mit wehenden Fahnen über den Asphalt rollten, bekamen eher mitleidige Blicke ab. Dass sie nur übten für den großen Siegeskorso, der dann ab 22.45 Uhr über die zentralen Straßen der Stadt rollen, oder besser: sie verstopfen sollte, wer glaubte schon daran und an ein Wunder von Basel?

Doch das Wunder wurde wahr. Deutschland gewann 3:2 und die Fans feierten auf den Straßen. Es blieb dabei weitestgehend friedlich. Einige Angetrunkene allerdings meinten, mit Flaschen auf Polizisten werfen zu müssen. "Es gibt eben immer ein paar Verrückte", sagte ein Polizeisprecher am frühen Morgen. Doch die Handvoll Störer sei sehr schnell zurückgedrängt wurden. Insgesamt gab es in der Nacht nach dem Spiel 13 Festnahmen und 4 Verletzte - eine sehr geringe Zahl angesichts der vielen Menschen, die unterwegs waren.

Die friedlichen Fans feierten bis kurz vor ein Uhr in der Nacht. Dann begann es zu regnen, und zwar so heftig, dass selbst die größten Enthusiasten die Lust am Public Partying verloren und in die Kneipen, Clubs und nach Hause flüchteten - um dort überdacht weiterzufeiern.

Hat mit diesem Sieg und diesem Jubel jemand – mal ganz ehrlich – überhaupt gerechnet? Die Fans in der Neuköllner Eckkneipe „Lange Nacht“ in der Weisestraße jedenfalls wussten ihr Glück bis zuletzt kaum zu fassen. Noch in den Schlusssekunden, als fast alles klar war, wurde gezittert und gebetet, ein ganzer Raum voller Nervenbündel, rund 150 Fußballenthusiasten. Die letzten Sekunden wurden abgezählt, als starte gleich eine Rakete zum Mond, und dann lag man sich auch schon in den Armen, stammelte „unglaublich“ oder „ein Unding, aber wahr“.

Und schon ging es raus ins Freie, zu den anderen Jubelnden, die aus allen Türen zu quellen schienen. Ein ähnliches Bild auch beim EM-Club „Tante Käthe“ am Mauerpark in Prenzlauer Berg, mit einem natürlich auch hier eindeutig auf deutscher Seite jubelndem Publikum, das allerdings nur selten zu schwarzrotgoldener Schminke und ebensolchen T-Shirts gegriffen hatte. Ungläubig fast starrten sie auf die Leinwände, bangend, ob sich das Blatt in der Schweiz nicht doch noch wenden würde. Schon während des Spiels war von dem urbanen Jungfans im „Tante Käthe“ bei jedem gelungenen Pass, jeder Zeitlupenwiederholung gejubelt worden, eine Superstimmung wie wohl überall in der Stadt, deren Straßen während des Spiels gähnend leer waren.

Im „Fuhrpark“ an der Treptower Arena, dem EM-Quartier von 11 Freunde und Tagesspiegel, wurde von Beginn an frenetisch mitgejubelt. 3000 Fans zählte die Polizei an der Arena. Das waren sogar mehr als am Bundespressestrand in Mitte, wo sich nach Polizeiangaben rund 2500 Zuschauer versammelten.

Hinterher, nach dem gloriosen Sieg, jubelte sich die Stadt in den Ausnahmezustand. Wer irgendeinen Freund in einer Fußballkneipe anrufen wollte, musste bald resignieren. Selbst wenn er ihn erreichte, war übers Handy kaum etwas zu verstehen: ein Riesengebrüll, Tröten, Knallen, Juchzen, Jubeln schwoll aus dem Hörer.

Auch auf den Straßen fröhliches Chaos. Hunderte hatten sich gegen 23 Uhr unter der Hochbahn an der Kreuzung Eberswalder Straße Schönhauser Allee versammelt, träumten schon von künftigen Taten der deutschen Elf, riefen begeistert immer wieder „Finale“.

Auf dem Kurfürstendamm lief zu dieser Zeit gar nichts, oder genauer: Alles lief zu Fuß, kein Korso in Sicht. Die Polizei hatte am Kranzler abgesperrt. "Wenn zu viele Menschen zu Fuß unterwegs sind, ist das aus Sicherheitsgründen notwendig", sagte ein Polizeisprecher am Morgen. Die Autos müssten von den Fußgängern ferngehalten werden, damit sich niemand verletzt.

Der Ku’damm wurde so zur Fanmeile, von einem privat abgebrannten Feuerwerk dekorativ beleuchtet, während sich die Jubelautos über die Lietzenburger Straße schoben. Rasch verschoben sich auch die Fangrenzen. So hatte in Neukölln ein türkischer Autofahrer die Lautsprecher voll aufgedreht, beschallte die Mitbürger mit anatolischen Klängen. Aus dem Fenster aber hingen zwei große deutsche Flaggen. Vielleicht treffen sich Deutschland und die Türkei ja dann im Halbfinale.

Egal wie es kommt: Weitere Jubelfeiern wird es in Berlin auf jeden Fall während dieser EM noch geben: Schon heute Abend steht wieder Public Partying an, wenn die Türkei und Kroatien um den Einzug ins Halbfinale gegen Deutschland spielen und eine der beiden, in Berlin stark vertretenen Fangemeinden danach auf jeden Fall jubelnd und hupend auf die Straßen strömt. Und mit Sicherheit auch nach dem Halbfinale am kommenden Mittwoch. Wenn wieder die Deutschen feiern - oder die Türken oder die Kroaten, die Deutschland in diesem Turnier schon einmal geschlagen haben.

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