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Und die Blauen laufen. Franck Ribery hat unter dem zwischenzeitlichen Liebesentzug der französischen Fans gelitten.

© AFP

Nach dem Revolutiönchen: Ribery, der Hoffnungsträger

Seit der blamablen WM 2010 straften die französischen Fans Franck Ribéry mit Liebesentzug. Mittlerweile scheint die Revolte vergessen - denn Ribery überzeugt wieder auf dem Platz.

Es ist gerade einmal drei Monate her, da schien Franck Ribéry gefühlsmäßig so weit von Frankreich entfernt zu sein wie Paris von Donezk. Doch in der ukrainischen Ferne ist einer der weltbesten Linksaußen inzwischen wieder zu dem großen Hoffnungsträger der französischen Nationalmannschaft auf eine erfolgreiche Europameisterschaft in Polen und der Ukraine geworden.

Davon hätte noch vor kurzer Zeit keine Rede sein können. Denn als Ribéry mit seinem Klub Bayern München im Viertelfinale der Champions League in Frankreich bei seinem früheren Verein Olympique Marseille spielen sollte, wurde der stolze Franzose bei jedem seiner Ballkontakte im Stade Vélodrome von denen ausgepfiffen und ausgebuht, die ihn in seinen zwei Jahren in Südfrankreich zwischen 2005 und 2007 in ihr Herz geschlossen hatten. Die Grande Nation schien sich von dem einst so geliebten Straßenfußballer abgewendet zu haben. Und auch Franck Ribéry schien seiner Heimat den Rücken zuwenden zu wollen, als er daraufhin offenherzig sinnierte: „Ich frage mich oft, ob ich ein Deutscher bin oder ein Franzose. Ich fühle mich in München so, als wäre ich hier geboren. In Frankreich herrschen einfach nicht die Bedingungen für mich und meinen Fußball.“

Seit seinem Auftritt in Marseille haben sich die Bedingungen für Ribéry jedoch stetig verbessert. In seiner Achterbahnkarriere zwischen Herzensbrecher und bösem Buben scheint der vormalige Straßenarbeiter und zum Fußball-Millionär aufgestiegene wieder die Kurve nach oben bekommen zu haben. Vergessen haben die Franzosen jedoch nicht, was der Münchner Volksheld 2010 als einer der Rädelsführer des sogenannten „Fiaskos von Knysna“ angezettelt hatte. Dort, wo die Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika ihr Trainingscamp aufgeschlagen hatte, war der 1,70 Meter große Tempodribbler einer der Anführer bei dem peinlichen Spieleraufstand gegen den damaligen Nationaltrainer Raymond Domenech. Das Revolutiönchen forderte seine Opfer: Domenech musste gehen, Nicholas Anelka, der Hauptschuldige unter den kurzfristig durchgeknallten Spielern, wurde für 18 Spiele gesperrt und musste noch während der Weltmeisterschaft das Lager in Knysna verlassen, der Verbandspräsident trat zurück – und Franck Ribéry wurde neben einigen anderen Rebellen für drei Länderspiele gesperrt.

Domenechs Nachfolger Laurent Blanc ließ sich neun Monate Zeit, ehe er den Mann mit der markanten Gesichtsnarbe zurückholte in Frankreichs erstes Fußballaufgebot. Blanc, als Spieler Weltmeister 1998 und Europameister 2000, hatte seit seinem Amtsantritt stets den Kontakt zu dem in Frankreich lange verfemten Münchner gehalten und ihn auch des Öfteren besucht in Deutschland. „Er hat immer an mich geglaubt“, sagt Ribéry heute, „ich werde das nie vergessen und will ihm gerne zurückgeben, was er mir gegeben hat.“

Wo Ribery die Zuneigung erhält, die er für sein Spiel braucht

Der Nordfranzose aus Boulogne-sur-Mer fand unterdessen in München trotz mancher Eskapaden – zum Beispiel seine Affäre mit einer minderjährigen Prostituierten – bei den Verantwortlichen des FC Bayern den Schutz und die Zuneigung, die er für sein Spiel benötigt. Nach dem verlorenen Champions-League-Endspiel 2010 verlängerte Ribéry seinen Vertrag bis 2016 und rief den Anhängern der Münchner vom Rathausbalkon zu: „Isch habe gemacht fünf Jahre mehr.“ Seit 2007 lebt Ribéry, der inzwischen sehr ordentlich Deutsch spricht, so etwas wie hoch bezahlte Vereinstreue vor. Er gilt bei den Bayern-Fans als der proletarische Solist für das große Ganze, dem auch misslungene Einzelaktionen nachgesehen werden. Anders als zum Beispiel Arjen Robben, sein Pendant auf der rechten Seite und von großbürgerlichem Habitus, der in dem Ruf steht, ein Egoist zu sein.

Die Franzosen schauten erst kurz vor der EM wieder wohlwollend auf den mit seiner Jugendliebe Wahiba verheirateten Vater dreier Kinder – weil Ribéry augenscheinlich damit begann, das Vertrauen von Blanc zurückzuzahlen.

Drei gewonnene Testspiele mit jeweils einem Tor des Fußball-Freigeistes, drei betörende Auftritte des Mannes mit dem rauen Eroberercharme genügten, um die Wende einzuleiten. Die Wiederentdeckung des Franck Ribérys hatte zwar wenig zu tun mit den Schwärmereien, die ihm bei seiner zauberhaften internationalen Premiere während der WM 2006 in Deutschland zu Ohren kamen, doch immerhin: Die Distanz zwischen Spieler und Publikum ist seit kurzem entschieden geringer geworden. Frankreich und sein verlorener Sohn könnten wieder ziemlich beste Freunde werden.

Dafür muss Ribéry aber nun während der EM seinen Beitrag leisten. „Ich trage eine große Verantwortung“, hat er in Donezk über seine Rolle als erster Diener seiner Mannschaft gesagt. Bei der französischen Ouvertüre im Duell mit England fehlte der Equipe Tricolore noch „das letzte Stück“, wie der Linksaußen danach gestand. Am heutigen Freitag soll der dringend erforderliche erste Sieg im zweiten Spiel der Gruppe D gegen die Ukraine folgen.

Franck Ribéry genießt es wieder, ein wichtiger Teil seiner französischen Nationalmannschaft zu sein. „Ich bin kein Heiliger“, sagt er über sich selbst, „ich bin nicht gebildet, aber ich bin auch nicht dumm oder falsch.“ Und so stürmt er dann auch drauflos. Wenn alles gut geht, kommt sein unverkrampfter, unwiderstehlicher Charme jetzt auch wieder bei seinen Landsleuten an. Wäre dem so – der Spieler, der geliebt werden will, wäre überglücklich.

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