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Keine Panik: Den Sieg über Novak Djokovic nimmt Stan Wawrinka keiner mehr.

© dpa

Nach dem Sieg der US Open: Stan Wawrinka: Eiserner Champion

Ihm steckte doppelt so viel Spielzeit in den Knochen wie seinem Gegner Novak Djokovic. Stan Wawrinka hat sich durchgebissen - und wurde belohnt.

Es hatte in Grunde kaum ein Körperteil gegeben, das sich Novak Djokovic im Verlaufe dieser US Open nicht behandeln ließ. Erst wenige Tage, bevor der letzte Grand Slam der Saison in Flushing Meadows begann, hatte der serbische Weltranglistenerste grünes Licht vom Arzt bekommen für sein lädiertes Handgelenk und entschieden, seine Titelverteidigung anzugehen. Doch dann verlagerten sich die Baustellen plötzlich. Mal wurde während der Matches sein rechter Arm massiert, dann der Ellbogen. Beim nächsten Mal war es die linke Schulter, dann die rechte. Auch die Hitze plagte ihn. Aber äußern wollte sich Djokovic nie zu seiner Verfassung.

Optimal war sie jedoch sicher nicht. Doch er hatte dabei auch noch schier unglaubliches Losglück gehabt, denn gleich zwei seiner Gegner hissten vorzeitig die weiße Flagge, ein weiterer trat gar nicht erst an. So kam es, dass Djokovic im Schongang in sein siebtes US-Open-Finale eingezogen war und gerade einmal neun Stunden auf dem Platz gestanden und 13 Sätze gespielt hatte. Seinem Gegner Stan Wawrinka steckten dagegen 23 Sätze und mit knapp 18 Stunden doppelt so viel Spielzeit in den Knochen.

Die US Open sind ohnehin der brutalste Grand Slam: der Lärm, die Hitze, der Betonboden, dazu die bereits zehrend lange Saison. So wurde das Finale eine Tennis-Schlacht im Arthur-Ashe-Stadium, bei der am Ende der schiere Überlebenswille siegte. Stan Wawrinka blieb eisern und gewann mit 6:7, 6:4, 7:5 und 6:3 seinen dritten Grand Slam nach den Australian Open (2014) und den French Open (2015). "Ich bin so glücklich", sagte Wawrinka, "Novak drängt einen immer an die Grenze. Man muss sein bestes Tennis spielen, um ihn zu schlagen - und ich habe hier so viel Tennis gespielt, ich bin fertig."

 Er konnte kaum mehr die Arme zum Jubel heben

Als der 31 Jahre alte Schweizer nach vier Stunden seinen zweiten Matchball verwandelt hatte und ihn die 24.000 Fans auf den Rängen mit frenetischem Beifall und stehenden Ovationen feierten, da konnte Wawrinka kaum mehr als seine Arme zum Jubeln hochheben. Er war am Ende. Der Weltranglistendritte wollte zu seinem Anhang, doch das Stückchen zu seiner Box hochklettern, wie es Angelique Kerber tags zuvor noch so schwungvoll gemacht hatte, kam nicht in Frage.

Wawrinka nahm die Treppe, ging ganz langsam hoch. Und noch bevor er seine Familie, Freunde und Freundin umarmte, drückte er seinen Trainer Magnus Norman, seinen Erfolgsmacher. Und an diesem Tag hatte er den schwedischen Ex-Profi wie selten zuvor gebraucht. "Dieser Grand-Slam-Sieg ist der schmerzvollste gewesen", sagte Wawrinka später, "ich habe so gelitten auf dem Platz. Ich fühlte die Krämpfe kommen, ich war leer." Doch Norman hatte vor dem Match auf ihn eingeredet, wie auf einen Boxer vor dem großen Kampf. "Magnus hat mir gesagt, ich soll hart bleiben, Novak nicht zeigen, dass ich Schmerzen habe. Nichts. Nur kämpfen."

 Jahrelang glaubte der Schweizer nicht an seine Chance

Und das tat der Schweizer. Jahrelang hatte er nicht an seine Chance gegen die vier besten Spieler geglaubt. Er dachte, Grand-Slam-Siege, die seien für die anderen. Inzwischen aber gehört er dazu. Und dieses Selbstbewusstsein, den Glauben, hatte er sich hart erarbeitet mit Normans Hilfe. Wawrinka ist einer für die großen Matches, das weiß Djokovic. "Ich spiele nie gut in den ersten Runden", sagte Wawrinka, der in der dritten Runde einen Matchball abwehrte, "aber von Match zu Match werde ich stärker und im Finale habe ich dann meine Bestform. Da will ich unbedingt gewinnen."

Und so hat der Schweizer nun sein elftes Endspiel in Folge gewonnen. Großartiges Tennis boten die beiden dabei bis in den vierten Satz hinein. Ihre Spielstile ergänzen sich so perfekt, das ihre Duelle derzeit die prickelndsten auf der Tour sind. Wawrinka kann mit seinen knallharten, flachen Schlägen selbst auf Djokovic als besten Defensivspieler stetig Druck ausüben, ihn mit seinem Winkelspiel auskontern. Seine einhändige Rückhand ist die wohl beste auf der Tour.

 "Kurz bevor wir raus gingen, fing ich an zu weinen"

Mit Rallyes von bis zu 28 Schlägen trieben sie sich über den Platz, kaum ein Spiel ging nicht über Einstand. Es war ein packendes Finale, hochklassig dazu. Dann bekam Djokovic zusehends Probleme. Anfangs des vierten Satzes schienen ihn Krämpfe im linken Bein zu quälen. Mal hinkte er, dann wieder nicht. Djokovic bestritt später, dass es Krämpfe gewesen seien. Behandelt werden dürfen diese nicht, stattdessen ließ Djokovic zweimal eine Blase am Fuß pflegen. Wawrinka sammelte noch einmal seine letzten Kräfte und hielt das Break. Mit seinem 46. leichten Fehler beendete Djokovic seine Hoffnung auf seinen 13. Grand-Slam-Titel.

Über seine Verfassung hielt er sich danach weiter bedeckt. Aber der Körper allein war es nicht, nur drei von 17 Breakchancen hatte er genutzt, "das ist eine schreckliche Bilanz", bilanzierte er. Zudem habe Djokovic "in wichtigen Momenten meine Nerven verloren". Auch das sieht dem Serben gar nicht ähnlich. Doch Wawrinka hatte vor dem Finale genauso mit sich zu kämpfen gehabt. "Ich war noch nie so nervös wie vor diesem Match. Ich habe gezittert. Und kurz bevor wir raus gingen, fing ich an zu weinen."

Norman gelang es, seinen Schützling zu beruhigen. Ihn daran erinnerte, dass seine größte Stärke der unerschütterliche Glaube an sich ist. Er behielt Recht, und Wawrinka untermauerte es nach jedem wichtigen Punkt mit der Geste zu Norman: dem Tippen seines Zeigefingers an die Schläfe. Der Geist hatte über den müden Körper gesiegt. Und Wawrinka wusste, bei wem er sich am Ende noch zu bedanken hatte: "Novak, du bist ein großer Champion. Wegen dir bin ich der, der ich heute bin." Ein Champion nämlich, eisern und unverwüstlich.

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