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Barbara Rittner, 38, (rechts) ist seit 2005 Chefin des deutschen Fed-Cup-Teams und auch für die Nachwuchsarbeit verantwortlich.

© picture alliance / Sven Simon

Nach der Verletzung von Andrea Petkovic: Barbara Rittner: "Unser Team kann das auffangen"

Fed-Cup-Teamchefin Barbara Rittner über Andrea Petkovics verletzungsbedingte Absage bei den Australian Open, Nachhaltigkeit im Frauentennis und Träume vom Olympiasieg.

Frau Rittner, Andrea Petkovic hat am Mittwoch überraschend ihre Teilnahme an den in der kommenden Woche beginnenden Australian Open abgesagt. Wegen eines Ermüdungsbruchs im Rücken fällt sie mindestens sechs Wochen lang aus. Kam das für Sie überraschend?

Andrea hat in den vergangenen Wochen öfter über Rückenschmerzen geklagt, aber ich habe natürlich gehofft, dass es nichts Schlimmes ist. Dass sie nun gleich zu Beginn der Saison so lange ausfällt, ist ein Schock. Es tut mir unglaublich leid für sie, dass ihr Fleiß und ihre harte Arbeit nun bestraft werden.

Es ist nicht ihre erste schlimmere Verletzung, auch bei den US Open spielte Petkovic trotz eines Meniskuseinrisses im Knie.
Sie ist manchmal zu hart zu sich selbst. Sie muss einfach noch lernen, ein bisschen besser auf ihren Körper zu hören und sich die Pausen zu gönnen, die sie braucht. Aber ich mache mir keine Sorgen, sie ist immer zurückgekommen und zwar jedes Mal stärker als zuvor.

Was bedeutet ihre Verletzung für den Fed-Cup? Das Erstrundenspiel gegen Tschechien findet bereits Anfang Februar statt.
Es wird definitiv ohne Petkovic stattfinden. Das ist natürlich ein großer Verlust, aber zum Glück haben wir ein starkes Team, das das auffangen kann. Und die anderen Spielerinnen können an dieser Aufgabe auch wachsen.

Bei den anderen sieht es momentan aber auch nicht gerade rosig aus. Sabine Lisicki plagt sich mit einer Bauchmuskelverletzung herum, Julia Görges musste in Sydney wegen einer Viruserkrankung aufgeben. Bricht Ihnen das ganze Team weg?
Wenn noch eine ausfällt, wird es natürlich schwierig. Ohne Petkovic brauche ich auf jeden Fall Lisicki als Führungsspielerin. Dann ist sie die Nummer eins, das kann sie auch, aber sie muss fit sein. Sie hat in den letzten Tagen schon wieder trainiert, zwar ohne Aufschlag, aber es wird besser. Ich hoffe, dass sie bei den Australian Open eine gute Auslosung erwischt, der Bauch hält und sie sich in das Turnier hineinspielen kann. Und Julia Görges fühlt sich zur Zeit schlapp. Sie hat jetzt ein Blutbild machen lassen, um Schlimmeres auszuschließen. Aber es sind ja auch noch ein paar Tage bis zu den Australian Open und zweieinhalb Wochen bis zum Fed-Cup.

Trotzdem ist der Ausfall der Nummer eins schwer zu kompensieren. Dabei zählten Sie doch in diesem Jahr eigentlich zu den Titelaspiranten.
Das Gute ist, dass wir jetzt nichts mehr zu verlieren haben. Natürlich sind wir durch Petkovics Absage geschwächt. Gegen Tschechien, die amtierenden Weltmeister mit Wimbledonsiegerin Petra Kvitova, können wir in der ersten Runde verlieren und dann ist sogar ein Abstieg möglich. Aber wenn alles zusammenpasst und niemand verletzt ist, haben wir jetzt wirklich ein gutes Team. Wir wissen, dass wir den Fed-Cup gewinnen können, nach 20 Jahren mal wieder. Auch international werde ich immer öfter darauf angesprochen. Gegen uns spielt niemand gerne.

Petkovic hat das vergangene Jahr als Nummer zehn der Welt abgeschlossen. Lisicki auf 15, Görges auf 21 und auch Angelique Kerber kratzt als 32. an der Weltspitze. Wird es da nicht auch ohne Verletzungen immer schwieriger, sie alle für den Fed-Cup zu begeistern?
Es wird sich zeigen, wie das geht. Ich weiß, dass wir alle das Ziel haben, den Fed-Cup mal zu gewinnen. Und es hilft, dass wir seit Jahren gemeinsam gute und schlechte Zeiten durchlitten haben. Wir sind vorletztes Jahr abgestiegen, da saß Lisicki mit Krücken auf der Tribüne und wir haben 2:3 gegen Frankreich verloren. Danach habe ich in der Kabine eine Rede gehalten und alle haben ein paar Tränchen vergossen. Letztes Jahr haben wir die USA geschlagen, das war ein tolles Erfolgserlebnis. So etwas schweißt zusammen.

Seite 2: Gibt es bei dieser Konkurrenz im Team nicht bald einen Zickenkrieg?

Bei Lisicki gab es schon mal so eine Phase, in der sie sich auf ihre Einzelkarriere konzentrieren wollte und den Fed-Cup absagte.
Ich weiß nicht, ob Sabine das wieder tun würde, aber ich habe ihre Entscheidung damals auch verstanden. Das kann auch bei den anderen mal passieren. Auch zu Steffi Grafs Zeiten gab es solche Momente. Es wird immer wieder Situationen geben, in denen die ein oder andere sagt: Es passt nicht in meine Planung, ich habe zu viele Matches gespielt oder der Bodenbelag passt gar nicht. Das muss man verstehen – solange es nicht nur um Geld geht oder Befindlichkeiten gegenüber dem Team. Ich weiß, dass die Grundeinstellung stimmt und alle den Fed-Cup lieben.

Trotzdem sind alle sehr verschieden. Erwartet uns da nicht bald ein Zickenkrieg?
Auf keinen Fall. Natürlich gibt es hier und da kleinere Streitereien, aber im Großen und Ganzen geht es bei uns sehr harmonisch zu. Die Spielerinnen kennen sich seit langem, das ist auch der Grund, warum es bisher sehr, sehr gut funktioniert.

Wie schaffen Sie das? Tennis ist ein Einzelsport, Teamgeist gehört nicht unbedingt zum Inventar. Und bei den Männern, im Davis-Cup, gibt es ständig Streit.
Beim Fed-Cup haben wir seit Jahren dasselbe Team. Von Teamarzt über Physiotherapeuten und Kotrainer bis zum Konditionstrainer. Das ist eine Woche, auf die sich alle freuen, beruflich wie privat. Wir haben sehr viel Spaß miteinander. Der Schlüssel aber ist die Jugendarbeit.

Inwiefern?
Ich arbeite seit sieben Jahren als Fed-Cup- Teamchefin und als Bundestrainerin für die Jugendlichen gleichzeitig. Außerdem war ich selbst 15 Jahre Profi und habe mir viele Gedanken gemacht, wie man den Übergang verbessern kann. Als ich angefangen habe, waren die jetzigen Topspielerinnen 15,16 Jahre alt. Ich habe die ganz regelmäßig zusammengezogen zu Trainingswochen und Turniervorbereitungen. Das heißt, wir kennen uns alle schon sehr lange, alle Stärken und Schwächen. Wenn eine mal ein bisschen launisch wird oder rumzickt, dann wissen wir damit umzugehen. Und zwar ausnahmslos. Es gibt keine, die von außen hereinkommt und die man nicht kennt. Diesen Teamgeist kann man kurzfristig gar nicht erreichen.

Sabine Lisicki ist beispielsweise sehr früh in die USA zu Nick Bollettieri gegangen. Wie konnten Sie die einbinden?
Sabine war natürlich seltener dabei. Wenn die Mädels bei deutschen Meisterschaften oder internationalen Jugendturnieren gespielt haben, habe ich sie bewusst vorher drei Tage zusammengeholt. Da war dann auch Lisicki dabei, wenn auch nicht immer. Und all die anderen, die heute in der Weltspitze sind: Andrea Petkovic, Julia Görges, Angelique Kerber.

Wie behalten Sie den Überblick über den gesamten Nachwuchs in Deutschland?
Es ist unglaublich zeitaufwändig und intensiv. Mir helfen die Verbandstrainer und die Privattrainer. Ich versuche sehr regelmäßigen Kontakt zu halten. Ich weiß von allen viel versprechenden Jugendlichen bis runter zu den 14-Jährigen, wo sie trainieren, wie die familiären Verhältnisse sind, ob sie Geschwister haben, noch zu Hause wohnen, ob sie Abitur machen, Fernschule… Das hat sich über die Jahre aufgebaut.

Die Schule ist ja oft ein Thema. Raten Sie den jungen Mädchen, die Schule fertig zu machen?
Im Tennis kann man keine Schablone ansetzen. Man kann nicht sagen, was man machen muss, um unter die ersten 100 der Welt zu kommen. Tennis ist so individuell. Alle ticken anders. Grundsätzlich sage ich immer: Ein Abschluss ist sehr, sehr wichtig. Es kann jeden Tag vorbei sein. Der Plan B gehört dazu. Aber ich kann nur im Hintergrund beraten, die Entscheidung treffen die Personen selber. Da gibt es auch mal Entscheidungen, die ich so nicht treffen würde. Aber es gibt auch viele, die meine Ratschläge annehmen.

Die aktuellen Topspielerinnen zeigen ganz gut die Bandbreite des Möglichen.
Richtig. Da sieht man, dass es nicht den einen goldenen Weg gibt. Petkovic, Görges, Lisicki und Kerber sind alle einen anderen Weg gegangen. Petkovic hat nebenher ein Einser-Abi gemacht und studiert Politikwissenschaften. Wenn man ihr die Schule genommen hätte und mit 16, als sie auch schon sehr gut war, gesagt hätte: Jetzt konzentrier’ dich nur noch aufs Tennis, dann wäre sie tot unglücklich gewesen und sicher jetzt nicht da, wo sie ist. Sie braucht Ablenkung für den Kopf.

Seite 3: Was machen die Frauen besser als die Männer?

Wieso klappt es bei den Männern nicht so wie bei den Frauen?
Es ist eine sehr glückliche und günstige Konstellation, dass ich beides machen kann: Fed-Cup und Bundestrainerin für den Nachwuchs. Ich glaube, viele im Verband sehen jetzt, dass das Früchte trägt. Patrick Kühnen, mein Pendant bei den Herren, macht nach und nach auch mehr im Nachwuchsbereich. Wenn ich als Fed-Cup-Teamchefin 14-,15-Jährige einlade, dann sind die erstmal scheu und wissen nicht, wie sie mit mir umzugehen haben. Ich gebe den Kleinen immer schon meine Telefonnummer, ich versuche immer allen zu vermitteln, dass wir in einem Boot sitzen. Das ist natürlich für Patrick, der bisher nur die Männer betreut hat, schwieriger.

Aber das kann doch nicht alles sein.
Philipp Petzschner, Philipp Kohlschreiber oder Andi Beck sind für mich potenzielle Top-20-Spieler. Warum die das jetzt nicht schaffen, kann ich nicht sagen, da bin ich zu weit weg. Ich habe das Gefühl, dass die Mädchen weniger zufrieden sind, dass sie einfach ein bisschen erfolgshungriger sind.

Ist die Entwicklung bei den Frauen denn nachhaltig?
Es ist ein bisschen Glück dabei. Es ist ein sehr guter Jahrgang, das hat sich schon in der Jugend abgezeichnet. Aber in der Jugend sehe ich auch jetzt einige sehr gute Talente. Zwischen 14 und 18 sind es vielleicht vier bis sechs, die es auch bis nach vorne packen können. Aber die Messlatte liegt jetzt wieder sehr, sehr hoch. Ich glaube nicht, dass man drei oder vier Spielerinnen unter den Top 30 dauerhaft haben kann.

Machen Sie eigentlich mal etwas gemeinsam mit den Männern?
Es ist schwierig mit dem Turnierkalender. Bei den Grand Slams machen wir öfter mal einen großen gemeinsamen Tisch in der Spielerlounge oder gehen gemeinsam abends essen. Wir planen fürs nächste Jahr vor Olympia ein gemeinsames Trainingslager auf Rasen in Halle. Für den Teamgeist. Da freuen sich alle drauf. Das werden so drei bis fünf Tage sein mit denen, die sich qualifiziert haben. Denn Olympia ist ja diesmal in Wimbledon!

Ist denn, trotz des Verletzungspechs, so etwas wie ein Olympiasieg in diesem Jahr realistisch?
Es könnte kaum einen besseren Zeitpunkt für den Aufwind im Frauentennis geben. Es kann wirklich alles passieren. Caroline Wosniacki zum Beispiel, die derzeitige Nummer eins: Was kann die besser als unsere Spielerinnen? Das haben die ja auch schon im direkten Vergleich gezeigt. Es fehlt nur ein bisschen die Konstanz. Ich wünsche mir, dass alle mal gesund und fit bleiben, dann kommt der Rest von selbst.

Das impliziert auch, dass das mediale Interesse auf einmal wieder da ist.
Es ist schön, dass da wieder etwas entsteht. Als Spielerin habe ich diese absolute Hype-Phase erlebt mit Steffi Graf und Anke Huber. Die Aufmerksamkeit war riesig, das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat alle großen Turniere live übertragen. Danach ist Tennis fast ganz vom Bildschirm verschwunden. Es freut mich umso mehr, wenn es beim Fed-Cup wieder Livebilder geben wird. Aber wir wissen auch: Wenn der Erfolg ausbleibt, ist es schnell wieder vorbei.

Das Gespräch führte Anke Myrrhe.

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