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Weiter Satz. Markus Rehms Bestmarke liegt bei 8,40 Metern.

© Bernd Thissen/dpa

Nach der Veröffentlichung einer neuen Studie: Markus Rehm und die andauernde Rechtfertigung

Eine neue Studie verärgert den Weitspringer. Es heißt darin, unterschenkelamputierte Athleten hätten einen Leistungsvorteil von 13 Zentimetern.

„Eigentlich“, sagt Markus Rehm, „will ich nur so weit wie möglich in eine Sandgrube springen.“ Es ist ein simpler Wunsch. Für Markus Rehm wird er aber wohl kaum mehr in Erfüllung gehen, seit ein Motorboot ihm im August 2003 – er war 14 Jahre alt – beide Beine zerfetzte und sein rechtes unterhalb des Knies amputiert werden musste. Dabei springt Rehm heute meist weiter als jeder andere deutsche Weitspringer. Doch genau das wiederum ist das Problem. Rehm, dessen Bestleistung im Weitsprung bei 8,40 Metern liegt, springt mit einer Prothese und seit vielen Jahren entbrennt ein Streit um die Frage: Springt der Mann trotz oder wegen der Prothese so weit?

Es gab dazu schon ein paar wissenschaftliche Studien und die Aussagen differieren. Es müssen unzählige biomechanische Parameter berücksichtigt werden. Jede Empfehlung ist mit Fragezeichen zu betrachten. Vor wenigen Tagen erschien das jüngste Papier zu einer Studie eines internationalen Forscherteams, das sich mit den Vor- oder Nachteilen von Prothesen im Weitsprung beschäftigte. Das Ergebnis: Die besten unterschenkelamputierten Athleten haben einen Leistungsvorteil von mindestens 13 Zentimetern im Vergleich zu nicht-amputierten Weitspringern. Die Empfehlung der Verfasser lautet: „Athleten mit und ohne BKA (Amputation unterhalb des Knies) sollten aufgrund unterschiedlicher Bewegungsmuster wahrscheinlich in getrennten Kategorien im Weitsprung konkurrieren.“

Der Fall Rehm treibt die Leichtathletik schon lange um

Diese 13 Zentimeter, das weiß Rehm zu gut, werden ihn weiter unter Druck setzen, unter Rechtfertigungsdruck. Den verspürt er meist, wenn er im Wettbewerb mit Nicht-Gehandicapten einen ordentlichen Sprung hinlegt. Er befindet sich derzeit in Thailand: „Ich fühle mich sehr gut. Die Vorbereitung macht Spaß. Ich freue mich auf die Saison.“ Aber das nun erschienene Papier ärgert ihn.

„Der Satz, dass unterschenkelamputierte Weitspringer einen Vorteil von 13 Zentimetern haben, polarisiert natürlich schon“, sagt er. „Zumal sämtliche Nachteile, die Amputierte haben, kaum oder nur sehr schlecht messbar sind. Ich denke da etwa an das mangelnde sensorische Feedback von der Prothese, die Kompromisse zwischen Sprint- und Sprungprothese, die man eingehen muss oder die Asymmetrie im Anlauf. Das ist schwer in Zahlen zu fassen.“

Der Fall Rehm treibt die Leichtathletik schon seit ein paar Jahren um. 2014 gewann der heute 29-Jährige die Deutsche Meisterschaft im Weitsprung der nichtbehinderten Sportler. Wenige Tage später teilte man ihm mit, dass er bei der folgenden Leichtathletik-EM nicht teilnehmen dürfe. Seitdem springt Rehm meist außer Konkurrenz, bei einigen Showevents in den Innenstädten ist er aber normaler Wettbewerber. Rehm wurde häufig unterstellt, mit aller Macht bei den Nicht-Gehandicapten starten zu wollen. Er sagt aber: „Man muss auch feststellen, dass es biomechanische Unterschiede gibt und dass ein direkter Vergleich im gemeinsam gewerteten Wettkampf schwierig ist.“

Hier spricht keiner, der den Aufstand gegen die Verbände plant, die sich schwertun mit seinem Fall und generell mit Inklusion. Markus Rehm wundert sich aber dennoch, dass besondere körperliche Voraussetzungen jedweder Art eine so gewichtige Rolle spielen im Leistungssport. „Es geht doch im Grunde darum, gute Leistungen zu erzielen“, sagt er. Deswegen frage er sich schon, warum Para-Athleten nicht öfter an Wettbewerben mit Nicht-Gehandicapten teilnehmen dürfen. „Sie dürfen mich ruhig auch Bladejumper nennen, das macht mir nichts. Denn gegen den kann man verlieren, gegen einen ’Behinderten’ vermeintlich nicht so gerne.“

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