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Dem Pfosten mit den drei Punkten entgeht nichts. Auch das „GoalRef“-System wurde schon im Wettkampf getestet.

© AFP

Nach Fehlentscheidung gegen Ukraine: Fifa will über Tor-Technik beraten

Nach dem nicht gegebenen Treffer der Ukraine gegen England beschäftigt sich die Fifa im Juli mit der Einführung von elektronischen Hilfsmitteln. Damit stellt sich Joseph Blatter gegen Uefa-Boss Platini.

Nun wollen die Mächtigen des Weltfußballs doch reagieren. Am 5. Juli wird sich das „International Football Association Board“ (Ifab) mit der Frage beschäftigen, wie Vorfälle wie die als „Torklau von Donezk“ bekannt gewordene Fehlentscheidung aus dem Spiel Ukraine gegen England vermieden werden könnten. Weder der ungarische Schiedsrichter Viktor Kassai noch seine vier Assistenten hatten erkannt, dass der Ball nach einem Schuss des ukrainischen Stürmers Marko Devic die Linie um mehrere Zentimeter überschritten hatte, bevor der englische Verteidiger John Terry ihn wegschlagen konnte. Ein Treffer hätte dem Gastgeber die Chance auf ein Weiterkommen erhalten.

Allgemein wird jetzt deshalb mit der Einführung einer Torlinientechnologie gerechnet. Die Fifa hat sogar Anfang Juni schon einen offiziellen Test zugelassen. Beim letzten Vorbereitungsspiel der Engländer gegen Belgien am 2. Juni kam das sogenannte Hawkeye zum Einsatz.  Dieses System, benannt nach dessen Erfinder Paul Hawkins, wird beispielsweise beim Tennis eingesetzt. Zahlreiche rund um das Spielfeld montierte Kameras erfassen alles, was auf dem Platz passiert und könnten im Falle eines Tores ein Signal an den Schiedsrichter senden.

Ukraine gegen England, Der Ball war drin - hier unsere Beweisführung:

Beim „Testspiel“ im Juni kam es allerdings nicht zu einer strittigen Szene, so dass das technische Auge nicht wirklich zum Einsatz kommen konnte. Eine andere Technik heißt „GoalRef“ und würde in die Fußbälle integrierte Elektrochips erfordern. Durch ein Magnetfeld an der Torlinie könnte auch bei diesem System ein eindeutiges Signal an den Schiedsrichter gesendet werden, falls der Ball die Linie überschreitet. Die Fifa hat sich aber anscheinend bereits auf Hawkeye eingelassen.

Dennoch droht Streit zwischen den Verbänden, geht es doch auch darum, lange vertretene Positionen zu behaupten. So hatte sich Uefa-Präsident Michel Platini in Kenntnis der Diskussionsstandes der Fifa bei Hawkeye wiederholt für eine nicht-technische Lösung ausgesprochen, zuletzt pikanterweise am Vortag des Spiels Ukraine gegen England.

Blatter sieht Zeit für einen Wandel gekommen

Auch der Chef der Uefa-Schiedsrichter-Kommission, der ehemalige Weltklasse-Referee Pierluigi Collina, verteidigte seine Zunft: „Es gab drei Torsituationen während der EM, bei denen der Torrichter einen wesentlichen Beitrag zur Entscheidung des Haupt-Referees abgab. Zwei waren korrekt, leider war die dritte Entscheidung falsch.“ 95,7 Prozent aller Pfiffe seien bei der EM bislang korrekt gewesen.

Dagegen sieht Fifa-Boss Joseph Blatter die Zeit für einen Wandel gekommen. „Nach dem Spiel letzte Nacht ist Torlinientechnik keine Alternative mehr, sondern eine Notwendigkeit“, hatte der Schweizer nach dem Spiel gesagt. Auch wenn ihm viele rein taktische Gründe für sein Umschwenken unterstellen, dürfte das Wort des mächtigen Fifa-Bosses ein Signal für eine technische Lösung sein – und gegen Platini, der ihn einmal beerben will. Blatter allein verfügt über vier Stimmen im Ifab, die anderen vier Stimmen in dem für Regeländerungen zuständigen Gremium werden aus Traditionsgründen von je einem Vertreter aus England, Nordirland, Schottland und Wales vertreten. Zur Einführung einer Torlinientechnik ist eine Zweidrittel-Mehrheit notwendig.

Unterstützung bekommt Blatter von prominenter Stelle. „Wenn es nach mir geht: Torkamera und Torrichter“, sagte Franz Beckenbauer. Auch die deutschen Nationalspieler Sami Khedira und Thomas Müller bezogen Position pro Technik. „Schaden würde das nicht“, sagte Khedira. „Grundsätzlich sind technische Hilfsmittel richtig und wichtig“, ergänzte Müller.

Auffällig ist, dass die Diskussionen um die Einführung technischer Hilfsmittel mittlerweile fast jedes große Fußballturnier begleiten. Erst bei der letzten WM in Südafrika waren die Engländer selbst die Leidtragenden, als ihnen ein klarer Treffer beim 1:4 gegen Deutschland verwehrt wurde. Der englische Verteidiger Rio Ferdinand vom Vizemeister Manchester United, der nicht für die EM nominiert wurde, twitterte: „Das ist das Karma für das, was uns in Südafrika widerfahren ist ... Der Ball war beide Male über der Linie.“ Für Ex-Nationalspieler Michael Owen war die Szene die „Bestätigung dafür, dass es eine totale Zeitverschwendung ist, einen weiteren Offiziellen hinter den Toren zu beschäftigen“. Er wolle sich jedoch nicht beschweren, denn durch den 1:0-Sieg erreichte England das Viertelfinale. Das WM-Spiel von 2010 ging als die „Revanche für Wembley“ in die Geschichte ein, weil England 1966 im WM-Finale ein Tor gegen Deutschland schoss, das keines war. Doch im Gegensatz zu 1966 gäbe es heute Systeme, mit deren Hilfe ein Treffer zweifelsfrei nachzuweisen wäre.

Auch der Bundesliga-Referee Marco Fritz spricht sich für technische Hilfsmittel aus. „Wir Schiedsrichter sind für alles offen, was uns hilft“, sagte Fritz den „Stuttgarter Nachrichten“. „Ich würde eine technische Lösung begrüßen.“ Auch Wolfsburg-Trainer Felix Magath wiederholte vehement seine bekannte Position: „Ein glasklares Tor wurde nicht gegeben, weil ein Signal aus dem Ball nicht vorhanden, der Blick auf den Monitor nicht gestattet, technische Hilfsmittel zur Erkennung eines Treffers nicht vorhanden sind. Es ist Zeit zu handeln! Her mit der Tortechnologie!“, schrieb er auf Facebook. Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger sagte. „Ich habe nichts gegen den Einsatz einer Torkamera, sofern sie technisch ausgereift ist.“ Nach Jahren der Technikskepsis scheinen die Zeichen diesmal wirklich auf Wandel zu stehen. Für die Ukraine würde dieser Wandel allerdings zu spät kommen.

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